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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 6
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Das neue Programm: Vorwort der Redaktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0353

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müssen alle früheren Verfahren und Trucs vergessen
und ganz neue Ausdrucksmittel uns zuEigen machen.

Das erste ist: dass wir sehen lernen, dass wir
intensiver und richtiger sehen als unsere Vorgänger.
Die impressionistische Verschwommenheit und Ver-
undeutlichung nützt uns nichts. Die überkommene
Perspektive hat keinen Sinn mehr für uns und
hemmt unsre Impulsivität. „Tonalität", „farbige
Lichter", „farbige Schatten", „auflösen desKontur",
„Komplementärfarben" — und was es alles noch
gibt — sind Schulbegriffe geworden. Zuzweit —
und das ist nicht minder'wichtig — müssen wir
anfangen zu schaffen. Wir können unsre Staffelei
nicht ins Gewühl der Strasse tragen, um dort (blin-
zelnd) „Tonwerte" abzulesen. Eine Strasse besteht
nicht aus Tonwerten, sondern ist ein Bombarde-
ment von zischenden Fensterreihen, sausenden Licht-
kegeln zwischen Fuhrwerken aller Art und tausend
hüpfenden Kugeln, Menschenfetzen, Reklame-
schildern und dröhnenden, gestaltlosen Farbmassen.

Das Malen im Freien ist ganz falsch. Wir kön-
nen nicht das Zufällige, Ungeordnete unsres Motivs
im Nu auf die Leinwand bringen und ein Bild dar-
aus machen. Aber wir müssen mutig und überlegt
die optischen Eindrücke mit denen wir uns draussen
vollgesogen haben, zu einer Komposition formen.

Es handelt sich hier nicht, das sei gleich ge-
sagt, um eine rein dekorativ-ornamentale Füllung
der Fläche ä la Kandinsky oder Matisse — son-
dern um Leben in seiner Fülle: Raum, Hell und
Dunkel, Schwere und Leichtigkeit und Bewegung
der Dinge — kurz: um eine tiefere Durchdringung
der Wirklichkeit.

Es sind vor allem drei Materien, welche uns
zur Gestaltung des Bildes dienen müssen: i. das
Licht, 2. der Blickpunkt, 3. die Anwendung der
geraden Linie.

Unser Problem ist zunächst ein Lichtproblem
— aber nicht ausschliesslich ein Lichtproblem,
denn wir fühlen nicht überall das Licht, wie die
Impressionisten. Diese sahen überall Licht; sie ver-
teilten Helligkeit über ihre ganze Bildtafel; selbst
die Schatten sind hell und durchsichtig. Cezanne
ist in dieser Richtung schon viel weiter. Er hat
die schwebende Festigkeit und diese gibt seinen
Bildern die grosse Wahrheit.

Wir nehmen in der Natur nicht überall Licht
wahr; wir sehen häufig ganz vorn grosse Flächen,
die wie erstarrt sind und unbelichtet scheinen; wir
fühlen da und dort Schwere, Dunkelheiten, unbe-
wegte Materie. Das Licht scheint zu fliessen. Es

zerfetzt die Dinge. Wir fühlen deutlich Licht-
fetzen, Lichtstreifen, Lichtbündel. Ganze Komplexe
wogen im Licht und scheinen durchsichtig zu sein
— doch dazwischen wieder Starrheit, Undurch-
sichtigkeit in breiten Massen. Zwischen hohen
Häuserreihen blendet uns ein Tumult von Hell
und Dunkel. Lichtflächen liegen breit aufwänden.
Mitten im Gewühl von Köpfen zerplatzt eine Licht-
rakete. Zwischen Fahrzeugen zuckt es hell auf.
Der Himmel dringt wie ein Wassersfall auf uns
ein. Seine Lichtfülle sprengt das Unten. Scharfe
Konturen wanken in der Grelle. Die Schaaren der
Rechtecke fliehen in wirbelnden Rhythmen.

Das Licht bringt alle Dinge im Räume in Be-
wegung. Die Türme, Häuser, Laternen scheinen
zu hängen oder zu schwimmen.

Das Licht ist weiss, oder silbrig, oder violett,
oder blau, wie ihr wollt. Doch nehmt lieber ein
Weiss, so rein wie möglich. Streicht es mit brei-
tem Pinsel auf — daneben ein tiefes Blau oder
Elfenbeinschwarz. Fürchtet euch nicht und bedeckt
die Fläche mit heftigem Weiss, kreuz und quer.
Nehmt Blau — das satte warme Pariserblau, das
kühle, laute Ultramarin — nehmt Umbra, Ocker
in Fülle und kritzelt nervös, eilig. Seid lieber brutal
und unverschämt: eure Motive sind auch brutal
und unverschämt. Es genügt nicht, dass ihr den
Rhythmus in den Fingerspitzen habt, ihr müsst
euch winden unter Tollheit und Lachen!

Wichtig für das Kompositorische ist der Blick-
punkt. Er ist der intensivste Teil des Bildes und
Mittelpunkt der Komposition. Er kann überall
liegen, in der Mitte, rechts oder links von der
Mitte, aber aus Kompositionsgründen wähle man
ihn etwas unter der Mitte des Bildes. Es ist auch
zu beachten, dass alle Dinge im Blickpunkt deut-
lich seien, scharf und unmystisch. Im Blickpunkt
sehen wir aufrechtstehende Linien senkrecht. Je
weiter vom Blickpunkt entfernt, desto mehr neigen
sich die Linien. Stehen wir zum Beispiel gerade-
ausblickend mitten auf der Strasse, so sind vor uns,
weit unten, alle Häuser senkrecht zu sehen und
ihre Fensterreihen scheinen der landläufigen Per-
spektive Recht zu geben, denn sie laufen dem Ho-
rizont zu. Doch die Häuser neben uns — wir
fühlen sie nur mit halbem Auge — scheinen zu
wanken und zusammenzubrechen. Hier schiessen
Linien, die in Wirklichkeit parallel laufen, steil
empor und schneiden sich. Giebel, Schornsteine,
Fenster sind dunkle, chaotische Massen, fantastisch
verkürzt, vieldeutig.

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