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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 6
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Barchan, Paul: Somow und seine Erotik: eine nur literarische Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0356

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CONSTANTIN SOMOW, SELBSTBILDNIS

CONSTANTIN SOMOW, BILDNISSTUDIE

des Begehrens, nicht die Freudigkeit des Geniessens.
Das Töten des Zwecks und Potenzieren der Mittel.
Das Auskosten und nicht das Überwinden. Erotik
ist Geist, Sexualität — Fleisch und Blut. Erotik ist
ein Unterliegen den Mächten, eine Lust am Ver-
führtsein, nicht das Verführen, nicht was die Natur
fordert, sondern was die Nutzbarmachung der Natur
an zweckloser Freude bietet. Es ist ein Plündern
der Wollust, ein Zerstörungswert. In der Erotik
wurzelt das grosse Schmerzlichkeitsgefühl, und
daraus weiter das Suchen nach einem Ausblick, was
man Sehnsucht nennt.

Erotik als Ausdruck der Kunst findet man gegen-
wärtig bei zwei, die sonst weder einander verwandt
sindnochsonstBerührungspunktehaben: beiSomow
und Pascin. Bei andern ist es nur Sexualität, wie bei
Corinth. Dieser ist eine Natur, eine volle, üppige,
blühende Natur, die mit dem Geist, mit der In-
tellektualität, in wie hohem Maasse sie diese auch
besitzt, sich nie vermengt. Der Erotiker aber —
ein denaturierter Geist, der die Kraft aus dem Rest
seiner Natur in Vehemenz umsetzt, in Schmerzlich-
keit der Empfindung überträgt.

Was die beiden lebenden Erotiker Somow und
Pascin, abgesehen von dem spezifischen Gewicht

ihrer künstlerischen Persönlichkeit, unterscheidet,
sind die Male ihrer Rasse. Der Semit und
Judäer Pascin und der Slave Somow, ein Ge-
misch von Arier und Tatar. Auf jeder Pascin-
schen Gruppe, einem Bukett von rumänischen
Zuhältern und Dirnen, einer Kreuzung von lässiger
Liederlichkeit mit europäischer Angefaultheit und
Niedertracht, blickt stets eine unberührte, nichts
ahnende Figur, doppelt rührsam und läuternd.
Nicht von dieser Welt scheint sie, zart und waffen-
los, und doch fühlt man eine innere Kraft, sich nicht
preiszugeben und zu verlieren. Und zeichnet er auch
nur eine einzige verkommene Gestalt, selbst in ihr
finden wir irgendwo, in einem Winkel, im Auge,
oder um den Mund, im Nacken, was weiss ich, im
Ellbogen — ach,nein, einfach inder Zeichnung, dieses
Erstaunen, dieses sich Bereiten auf den jüngsten
Tag. Es ist die Sehnsucht nach Reinheit, ohne die
eine judäische Kunst (ob sie nun jüdisch oder
„christlich" ist) undenkbar ist. Der ganze Heine
ist undenkbar ohne diese, und es ist kein Zufall,
dass Pascin den ihm so verwandten Heine (Schnappe-
lewopski) illustriert hat.

Hinter des Ariers Somow Lieblichkeit, Ver-
zücktheit, hinter seiner Lust und Liebestrunkenheit

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