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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 8
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Geiger, Willi: Stierkampf: ein Essay und sechs Originalradierungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0453

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Krieg als eine selbstverständliche körperliche Bewe-
gung betrachtete, bildete sich aus dem Bedürfnis
nach Bewegung, nach Reibungsflächen, aus einer
Vorliebe für Gefahr, diese seltsame Manifestation —
Torero und Arena heraus. Hier eine im Grunde er-
freuliche Ergänzung des freien, individuellen Lebens,
eine glühende Bejahung desselben, dort bei uns,
dauernd umgeben von Maass, Ordnung und Vor-
schriften blieb uns die Flucht zum Alkohol. Geht
Ihnen denn nicht das Herz auf über all das Neuartige,
Schöne, Herzzusammenschnürende, Schreckhafte,
über die Maassen Farbige? Offnen Sie doch Auge,
Ohr und Herz; gehen Sie einmal nicht ins Detail
und nehmen Sie das Ganze; auch die Gesichter um
Sie herum, die kühnen Augen, die blitzenden Zähne,
die prachtvollen Schädel! Verstehen Sie alles aus
dem Ganzen heraus in der Wechselwirkung zwischen
Volk und dem Vorgang in der Arena; nehmen Sie
beispielsweise an, dass das Schauspiel vor sich geht,
damit die Damen Gelegenheit haben ihren Prunk
zu zeigen oder denken Sie sich, dass der Impresario
den Einfall hatte, das Fest für die liebe Sonne zu
geben, damit sie ihre ganze Macht entfalten und
alles mit Flimmer und Glanz überspannen kann.
Freuen Sie sich auch darüber, dass der Polizeipräfekt
hier zu Lande das Ganze nicht nur nicht verbietet,
sondern zu besonders glanzvoller Entfaltung noch
beiträgt. So wurde diecorridade toros zum National-
fest der Spanier, zu einem Ereignis, das in gleicher
Weise elementar wirkt wie Liebe oder Hass, wie
eine Feuersbrunst oder wie ein Gewitter. Erst den
Rittern vorbehalten, dann vielfach von Mauren ge-
übt ging sie in mannigfachen Wandlungen zur
heutigen populären Form über. Und in diesem
Sinne auf Wiedersehen am Donnerstag Nachmittag
vor der plaza de toros."

Der Stierzirkus — ein kolossaler Rundbau aus
Backstein. — Er verschwindet beinahe in dem
Staubmeer, das die Auffahrt hunderter von Karossen
entwickelt. Eine ungeheuere Menge staut sich an
den Eingängen. Alle Krüppel Madrids sind aus
ihren Höhlen herausgekommen und erwarten die
Ankunft der Matadore. Alles fiebert. Man staunt
über die Wichtigkeit, die man dem Ereignis zumisst.
Alle dünken sich als Kenner, sind orientiert aus

welcher Züchterei die Stiere sind und wissen Bescheid
über die augenblickliche Verfassung der auftreten-
den Toreros. Arm und reich erscheinen auf der
Bildfläche. Auch der Adel, denn er kann nicht
fehlen, wo der König stark interessiert ist. Das
Innere des Zirkus wirkt anfangs wie eine Kulisse.
Der Raum ist enorm und man überschaut nur schwer
die anwesenden zwanzigtausend Menschen, die mit
dem Bau verwachsen scheinen und die bei der
summenden, betäubenden Monotonie des Lärmes
schemenhaft wirken. Es ergeht einem wie am
Meere, wenn man eine Welle verfolgt, die aber
immer wieder von einer andern überholt wird. So
wird man zunächst von Farbe und Bewegung ge-
packt. Dann beruhigen sich Augen und Sinne und man
stösst auf fremdartige, leidenschaftliche Menschen.
Sie muten wilder an, gereizter als jene, die uns kurz
vorher in den Strassen der Stadt begegneten. Aber
es sind dieselben. Hier die Damen in den Balkons:
die weiss geschminkten Köpfe mit rosa Bäckchen
blicken lüstern aus ihren Mamillen hervor. Sie
heben sich von leuchtenden Blumen ihrer spanischen
Schals ab; das Ganze ist wie ein kreischendes
Papageienheer. Goja wird lebendig; dort sind
Mädchen aus dem Volk mit praller, brauner Haut
und funkelnden Zähnen. Alle haben einen duftenden
Garten mit exotischen Blumen in die Arena getragen;
die Luft ist wie geheizt, scharfe Parfüms hängen
schwer und zudringlich in der Luft und man meint,
die hundertfältigen Gerüche müssten greifbare Form
annehmen, so schwadenhaft und gesättigt stellen
sie sich vor. Es muss kurz vor Beginn des Schau-
spiels sein, denn der Lärm ist orkanartig geworden.
Irgend eine Ursache lenkt die Masse nach dieser
oder jener Richtung, und dieses allgemeine Staunen,
Lachen oder Missbilligen ist sehr seltsam. Man
wird sich einer merkwürdigen Gemeinschaftlichkeit
der Empfindungen bewusst, fühlt sich ausserhalb
sich selbst und eins mit allen. Man ist hingerissen
von einer allgemeinen Leitidee. Man ist voll ner-
vöser Erwartung, voll uneingestandener Bangigkeit.
Wenige Sekunden vor drei Uhr — die Menge hat
nur noch Sinn für jene kleine dunkle Thür hinter
der Barriere, aus der jeden Moment der Stier her-
vorbricht. — Orangenverkäufer dirigieren schnell

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