steht er heute fast
einzig da — einem
das Blut schneller
durch die Adern
zu treiben; denn
während er malt
unterhält er sich
mit der Ewigkeit
und um ihn ist die
grosse Stille, die
nur der sicher in
sich selbst Ruhen-
de, der Produktive
aushält. Es rührt
in der Bilderwelt
Munchs ein fausti-
scher Mensch an
jenes Geheimnis,
das unser aller Ge-
heimnis ist und
dem gegenüber
alle Menschen zu Geschwistern werden. Und er
thut es gestaltend, als Maler, als Zeichner. Darum
ist in seinen Bildern und Zeichnungen jenes Klin-
gende, das prophetisch berührt. Aber er ist bei
alledem nicht eigentlich ein grosser Künstler. Er
ist zu gewaltsam, um es sein zu können; oder
vielmehr, seine Gewaltsamkeiten sind nicht bis zum
Letzten künstlerisch legitimiert. Er ist keiner jener
Künstler, die ihr Ganzes immer in jedes Werk zu
legen und die
ihr Innenleben
und ihr Talent
darum in jedem
Werk so zu ob-
jektivierenwis-
sen, dass kleine
Vollkommen-
heiten ent-
stehen, die für
sich in aller
Ewigkeit leben
können. Bei
Munch ist die
Nabelschnur
zwischen Sub-
jekt und Werk
fast nie durch-
schnitten, es
sei denn in
einigen der
EDVARD MUNCH, CHRISTIANIA-FJORD
meisterhaftesten
Zeichnungen. Die
Eigenart Munchs
tritt, einem erst
aus der Gesamt-
heit der Werke
siegreich ent-
gegen.
In dieser
Gesamtheit erst
vollendet sich die
Persönlichkeit; im
einzelnen Werk
herrscht meistens
das Ungefähr und
der Geist der Skiz-
zistik. Das ein-
zelne Bild ist wie
ein Embryo und
verbreitet etwas
von dem Unbe-
hagen, das von
allem Embryonischen ausgeht. Munch muss nach
der ersten Anlage eigentlich immer schon auf-
hören, da er sonst seine Ausdruckskraft gefähr-
den würde. Er giebt alles fast in Untermalungen,
Lasuren, ihn reizten nicht die Schönheiten einer
räumlichen Malerei, es treibt ihn nicht die schöne
Haut der Natur valeurreich und wahr zu malen,
sondern er skelettiert die Natur mehr oder weniger,
er mystizisiert die Farbe und giebt allen Gegen-
ständen eine
EDVAB.D MUNCH, DÜNENLANDSCHAFT
seltsame deko-
rative Irreali-
tät. Er ist ein
Improvisator,
dem nur im er-
sten Wurf die
zwingende
Form für seine
seelisch-opti-
schen Impres-
sionen gelingt.
Munch ist ein
flüchtiger An-
deutervonEnd-
gültigkeiten;
seine Gestalten
erscheinen wie
Schemen der
Gesetzmässig-
keit. Trotzdem
416"
einzig da — einem
das Blut schneller
durch die Adern
zu treiben; denn
während er malt
unterhält er sich
mit der Ewigkeit
und um ihn ist die
grosse Stille, die
nur der sicher in
sich selbst Ruhen-
de, der Produktive
aushält. Es rührt
in der Bilderwelt
Munchs ein fausti-
scher Mensch an
jenes Geheimnis,
das unser aller Ge-
heimnis ist und
dem gegenüber
alle Menschen zu Geschwistern werden. Und er
thut es gestaltend, als Maler, als Zeichner. Darum
ist in seinen Bildern und Zeichnungen jenes Klin-
gende, das prophetisch berührt. Aber er ist bei
alledem nicht eigentlich ein grosser Künstler. Er
ist zu gewaltsam, um es sein zu können; oder
vielmehr, seine Gewaltsamkeiten sind nicht bis zum
Letzten künstlerisch legitimiert. Er ist keiner jener
Künstler, die ihr Ganzes immer in jedes Werk zu
legen und die
ihr Innenleben
und ihr Talent
darum in jedem
Werk so zu ob-
jektivierenwis-
sen, dass kleine
Vollkommen-
heiten ent-
stehen, die für
sich in aller
Ewigkeit leben
können. Bei
Munch ist die
Nabelschnur
zwischen Sub-
jekt und Werk
fast nie durch-
schnitten, es
sei denn in
einigen der
EDVARD MUNCH, CHRISTIANIA-FJORD
meisterhaftesten
Zeichnungen. Die
Eigenart Munchs
tritt, einem erst
aus der Gesamt-
heit der Werke
siegreich ent-
gegen.
In dieser
Gesamtheit erst
vollendet sich die
Persönlichkeit; im
einzelnen Werk
herrscht meistens
das Ungefähr und
der Geist der Skiz-
zistik. Das ein-
zelne Bild ist wie
ein Embryo und
verbreitet etwas
von dem Unbe-
hagen, das von
allem Embryonischen ausgeht. Munch muss nach
der ersten Anlage eigentlich immer schon auf-
hören, da er sonst seine Ausdruckskraft gefähr-
den würde. Er giebt alles fast in Untermalungen,
Lasuren, ihn reizten nicht die Schönheiten einer
räumlichen Malerei, es treibt ihn nicht die schöne
Haut der Natur valeurreich und wahr zu malen,
sondern er skelettiert die Natur mehr oder weniger,
er mystizisiert die Farbe und giebt allen Gegen-
ständen eine
EDVAB.D MUNCH, DÜNENLANDSCHAFT
seltsame deko-
rative Irreali-
tät. Er ist ein
Improvisator,
dem nur im er-
sten Wurf die
zwingende
Form für seine
seelisch-opti-
schen Impres-
sionen gelingt.
Munch ist ein
flüchtiger An-
deutervonEnd-
gültigkeiten;
seine Gestalten
erscheinen wie
Schemen der
Gesetzmässig-
keit. Trotzdem
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