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EDVARD MUNCH, STRASSE IN CHRISTIANIA
Jahre sind schlechthin Arbeiten eines Meisters, der
mit einer einzigen jubelnden und vor Erregung
und Gehalt zitternder Linie das ganz Wesentliche
zu umschreiben weiss und der, bei tiefem Ernst,
im höchsten Sinne künstlerisch charmant zu sein
weiss. Auch als Radierer, Holzschneider und in
kombinierten Verfahren hat Munch Blätter ge-
schaffen, die in der Geschichte der graphischen
Künste für alle Zeiten ihre Rolle spielen wer-
den. In allen Schwarz-weiss-Techniken erscheint
Munch fertiger, abgeschlossener und weniger pro-
blematisch als in seinen Bildern. Er ist, wie alle
Nordländer, in erster Linie eine Schwarz-weiss-
Natur, ein Zeichner; seine Kunst ist vor allem
eine Bilderschrift, eine prachtvoll ausgebildete
Handschrift, die alle Regungen eines empfind-
lichen Nervensystems wiederspiegelt und die in
immer neuen Linienspielen die Eindrücke und
Visionen des Lebens mit grellsüsser Romantik um-
kleidet.* •
Aus den Selbstbildnissen blickt der Künstler
* Siehe auch „Kunst und Künstler" Jahrgang XI, Seite 570
u. ff. Eduard Munch als Graphiker, von Curt Glaser.
den Betrachter persönlich an. Ein schmaler, wohl-
geformter Rassekopf, ein Gesicht voll scheuer
Willenskraft, voll gequälter Energie, ein Blick, der
sich in die Dinge hineinbohrt — und um die schlanke
Adelsgestalt eine Stimmung von Verlassenheit. Ein
Romantiker, der nicht zu lügen versteht — ein
Meister im Fragmentarischen — ein faustischer
Sucher der Harmonie — einer, der vor lauter
Gründlichkeit fahrig erscheint — ein Nervöser aus
Normannengeschlecht. Man darf der Jugend nicht
sagen: ahmt ihn nach. Aber man darf sagen: lernt
von diesem Leben, wie man zu sich selber gelangt,
lernt von ihm, wie das persönliche Schicksal künst-
lerisch objektiviert werden kann; liebt das schwan-
kende Heldentum dieses nordischen Malers, der
aus langen, sonnenlosen Wintern voller Frost und
Schnee und aus kurzen, berauschenden Sommern
ohne Nacht eine Kunst gewonnen hat, worin bei-
des, trotz hundertfacher Unvollkommenheit, eines
geworden ist: die Qual der kalten Dunkelheit und
der Jubel des ewigen Lichts.
Die Abbildungen dieses Heftes sind der schönen Ausstellung
entnommen, die letzthin bei Fritz Gurlitt zu sehen war.
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