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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 8
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Kristeller, Paul: Gemälde-Erhaltung und Gemälde-Restauration
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0478

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schichten mit neuen Tönen zu überziehen, Tonkontraste
„auszugleichen" und so weiter, sollte, zumal von öffent-
lichen Sammlungen ganz energisch abgewiesen werden.
Und zwar im Prinzip. Nur der erste Schritt vom Wege
ist ein Entschluss! Je geschickter der Restaurator hierin
ist, um so gefährlicher ist er.

Weder der Wissenschaft noch dem künstlerischen
Studium oder dem Genüsse kann mit der Betrachtung
von Gemälden gedient sein, die in ihren Formen und in
ihrem Charakter durch Übermalung einzelner Teile ver-
ändert worden sind. Mehr noch als gegen die alten,
meist leichter erkennbaren Übermalungen sollte man
sich gegen die meist geschickteren, angeblich stilge-
rechten unserer Tage zur Wehr setzen. Thatsächlich
sehen wir aber einen grossen Teil der alten Gemälde
nur durch einen mehr oder weniger dichten Schleier,
den die Hand des Restaurators gewoben hat. Unendliche
Verwirrung unserer Kenntnisse und Anschauungen, Ab-
neigung der Gebildeten gegen Galerien und „Galerie-
töne" sind die Folgen dieses Übels. Kein Einwand, den
man zur Verteidigung der Ergänzung fehlender Stellen
in Bildern anführen mag, kann stark genug sein gegen
die unerbittliche Forderung der Wahrheit. Wissenschaft
ist Gewissenhaftigkeit und auch die Kunst ist, wie Leo-
nardo da Vinci sagt, eine Wissenschaft.

Es ist erstaunlich, wie wenig das lehrreiche Beispiel
der Antikensammlungen auf die Gemäldegalerien ein-
gewirkt hat. Seit vielen Jahrzehnten sind Ergänzungen
oder Überarbeitungen antiker Bildwerke in Museen wie
im Privatbesitz und im Handel einfach ausgeschlossen.
Und doch hat man bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein
(die Aegineten!) Ergänzung auch der Antiken fast immer
für unbedingt erforderlich gehalten. Heute begnügt
man sich kluger Weise damit, Restaurationsversuche an
Gipsabgüssen vorzunehmen. Experimenta in corpore
vili! Nun darf man wohl sagen, dass heute der Genuss
der grossen Werke der Griechen, der Parthenonskulp-
turen, des Pergamenischen Altars, durch ihre fragmen-
tarische Erhaltung nicht wesentlich beeinträchtigt wird.
Man hat sich eben mit der an sich traurigen Thatsache
ihrer teilweisen Zerstörung, die nun gewissermassen ein
persönliches Mitgefühl erweckt, abgefunden und sucht
um so eindringlicher in den Resten die Schönheit des
Ganzen. Für den Betrachter ist es kein Schaden, dass
die Arbeit der Wiederherstellung seiner Phantasie über-
lassen bleibt. Vor allem, das Auge hat sich eben an das
fragmentarische Aussehen der antiken Skulpturen ge-
wöhnt. Ich möchte nun behaupten — und dieser Hin-
weis ist der eigentliche Zweck dieser Zeilen — dass es
auch bei der Betrachtung von Gemälden nur eine Sache
der Gewöhnung sein würde, über Lücken und Schäden
hinweg den Blick auf die Schönheiten des vollkommen
Erhaltenen richten zu können. Solche Hindernisse

werden, wie jede Möglichkeit der geistigen Mitarbeit,
den Weg zum Genüsse nur reizvoller erscheinen lassen.
Wenn man sich entzückt in dem Anblick eines antiken
Kopfes ohne Nase vertiefen kann, wird man wohl auch
lernen, sich in der Betrachtung eines Gemäldes durch
eine Lücke oder eine abgeriebene Stelle nicht stören zu
lassen. Mancher wird das aus eigener Erfahrung be-
stätigen können.

Jeder gute Katalog einer Antikensammlung bezeich-
net genau, welche Teile an den in früheren Zeiten re-
staurierten Stücken ergänzt oder überarbeitet sind. In
den „wissenschaftlichen" Katalogen der Gemäldegale-
rien würde man solche Angaben vergeblich suchen.
Und doch wären sie ungleich wichtiger als langatmige
Beschreibungen, Aufzählung der Farben oder gar ästhe-
tische Betrachtungen.

Die Aufgabe der Galerien soll die Erhaltung der
Gemälde sein, das heisst die Erhaltung dessen, was von
der Originalarbeit des Meisters noch vorhanden ist, nicht
aber die Rekonstruktion des nach der Ansicht des Restau-
rators oder seines Auftraggebers ursprünglichen Zu-
standes. Jeder Versuch, künstlerische Wirkungen, die
ein Gemälde vermeintlich gehabt hat, als es aus der
Hand des Meisters kam, durch Retuschen wiederher-
stellen zu wollen, sollte energisch abgelehnt werden,
weil er vergeblich und irreführend ist.

Wenn die öffentlichen Sammlungen den Anfang ge-
macht haben, werden die Liebhaber und bald auch die
Händler folgen. Welche öffentliche Kupferstichsamm-
lung, welcher ernste Sammler wird beschädigte Kupfer-
stiche oder gar alte Zeichnungen ergänzen lassen?
Durch Überarbeitung aufgefrischte Kupferstiche und
Zeichnungen werden von ihnen mit Recht gefürchtet
und für wertlos erachtet. Warum soll also ein Museum
anders mit seinen Gemälden verfahren als mit seinen
Skulpturen und mit seinen Zeichnungen? Anders mit
einem Gemälde als etwa mit einem alten bemalten Stuck-
relief? Ich bin überzeugt, dass diese Forderungen, die
schon jetzt von vielen geteilt werden, in vielleicht schon
kurzer Zeit allgemein als für selbstverständlich anerkannt
sein werden, ebenso wie ich sicher bin, dass man in naher
Zukunft kein bedeutendes Gemälde mehr in einem durch
Deckenlicht beleuchteten Räume wird aufstellen wollen,
und dass man sich auch einmal entschliessen wird, in
grossen Galerien nur eine kleine — wenn auch vielleicht
nicht immer die gleiche — Auswahl von Bildern dem
grossen Publikum darzubieten, während der Rest in ein-
fachen, lichten Räumen dem eingehenderen Studium
zugänglich bleibt. Dann wird die Bewachung des Aus-
gestellten leichter und wirksamer, der Genuss konzen-
trierter und stärker werden, dann wird man schliesslich
sich auch eher auf die Ausstellung von gut erhaltenen
Bildern beschränken können.

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