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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 10
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Mahlberg, Paul: Photographien nach plastischen Kunstwerken
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0577

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zentrale. In der Aufnahme nach der Marmorbüste von
Henri Rochefort (Phot. Bullox) ist sie ausgezeichnet
gelöst. Das Licht ist so genau auf die Stirnmauer und
da auf den richtigen Fleck geworfen, dass ich meine,
Rodin selber habe bei der Aufnahme seine Hand im
Spiele gehabt. Das Licht hat diesen Kopf verstanden.
Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Es bleibt nur
noch die weise künstlerische Ökonomie Rodins zu be-
wundern, der nicht versucht, dem Eindruck dieser Stirn
etwas Ähnliches in den Augen an die Seite zu geben.
Der Blick bleibt im Dunkel. Aber wir können leicht
die Funken aus dem Stein schlagen.

Auch bei der Klingerschen Salome noch kann man
die Photographie loben. (Phot. Hanfstengl). Der Photo-
graph hat dem Werk die beste Seite abzugewinnen ge-
wusst.

Zwischen diesen guten Dingen (zu ihnen gehört auch
noch die Aufnahme nach Hallers „Schreitendem Mäd-
chen", Phot. A. Koch. Diese Plastik darf nicht, wie es
anderwärts geschehen ist, von vorne aufgenommen
werden. Das schöne Motiv des Schreitens wird dann
zu einem unleidlichen Schlenkern) und den bösen stehen
noch viele, durch die wenigstens nichts verdorben worden
ist, weil nichts zu verderben war. Von den schlechten
soll nur summarisch die Rede sein.

Ich beginne mit dem allergröbsten.

Ganz ungeschulte Augen müssen sehen, dass beim
Photographieren der Bosseltschen Porträtplakette auf
das Ungeschickteste mit dem Glanzlicht umgegangen
wurde. Der Mann ist kreideweiss auf dem Schnurrbart,
auf den Augenbrauen, hinter derBrille und in denNasen-
löchern. Auf dem recht schlimmen Relief „Durch Afrika
von Ost nach West" bewirkt derselbe Umstand wie beim
ersten Objekt, dass es scheint, als ob die Neger durch
Schnee gingen. Nachdem man jene beiden Dinge ge-
sehen hat, erscheint gerechterweise alles Folgende ent-
schuldigt. —

Eine Portalplastik von Habich (Privataufnahme).
Der ungeschickte Schlagschatten hebt ein Stück Plastik
einfach heraus.

Engelmanns Figur vom Görlitzer Brunnen. Unan-
genehm störend wirken die Härten des Konturs, und
man sehe, welch ein hässliches Ornament durch seinen
Eingriff am rechten Knie entsteht.

Das im Freien aufgestellte plastische Werk lebt und
setzt sich durch in demOrganismus jeder einzelnen seiner
Flächen. Gelingt es der Photographie, jeden einzelnen
dieser Organismen dem Formausdruck nach verschärft
heranzuziehen, Schwünge und Konturen an den Rändern
beredter zu machen, so hat sie gewonnen. In unserm
Falle geht alles verloren, und es fällt schwer, bei all-
einiger Kenntnis der gegebenen Reproduktionen jene

Figur Engelmanns, und noch schwerer, die Amazone
von Tuaillon und den Bogenschützen von Geyger in
eine andere Sphäre als in die der Bronzeware zu bringen,
die in den Auslagen der Galanteriewarengeschäfte zu
sehen ist.

Da man für gewöhnlich bei der Verteilung des Lichts
die Hand etwas vollnimmt, so ist die Stilverschiebung
nach der Seite des Barock hin die gewöhnliche. Denn
durch eine kräftige Bewegung des Lichts zeichnet sich
der Barock aus. Da bei der männlichen Figur von Hilde-
brand die Ströme von Licht und Schatten zu reissend
sind, sieht sie zu barock aus. Ich brauche hier nur noch
einmal auf den oben besprochenen „Sitzenden Mann"
von Volkmann hinzuweisen, um zu zeigen, wie die Be-
leuchtung hätte gehandhabt werden müssen. Die beiden
Werke haben im Grunde dieselbe-stilistische Absicht:
klassizistisch zu sein.

Vom Klassischen zum Barock ist, wie wir sahen nur
ein Schritt. Andererseits liegen Gotik und Barock eng
beieinander. Beides sind Stile der Bewegung. Man sehe
sich das Schnitzwerk eines gotischen Altars an Ort und
Stelle an: es ist ein grosses Gewoge von Form auf
einem dunklen Grund. Ähnlich ist das Gewühl barocker
Skulptur; „mit Pauken und Trompeten" fährt die Ge-
schichte heraus. Während aber dort die Idee frei
herrscht, liegt hier Geist und Masse in stetigem Kampf.
— Das möge die Probleme der Beleuchtung andeuten.
In der Gotik haben sich Formwellen aus dem Schatten
zu heben; im Barock ist der leidenschaftliche Kampf
der Formen gegeneinander und gegen sich selbst als
Form Endzweck der Darstellung, und das macht es not-
wendig, ein krasses Licht auf sie zu werfen.

Minne ist ein Gotiker. Relativ. Die Photogaphie hat
aus seiner Nonne eine barocke Person gemacht. Das
Licht musste auf die Kapuze fallen, aber das Gesicht die-
ser Frau von der Nachfolge Jesu im Schatten leben. Das
krude Licht hat sie roh in den Barock hinaus gerissen.

Zum Schluss noch ein Beispiel von einer direkt
sinnlosen Stellung der Plastik beim Photographieren.
Es ist der „SchreitendeJüngling" von Hoetgerabgebildet.
Er hebt die Arme mit einem Knick in den Ellbogen so
über den Kopf, dass sich die Hände oberhalb des Scheitels
berühren. Was soll das? „In dem schreitenden, die
Augen gegen das Sonnenlicht beschattenden Jüngling
hat Hoetiger usw.", sagt der Text. Das konnte aller-
dings aus der Photographie nicht klar werden. Die
Lichtquelle liegt rechts, ein wenig hinter der Figur. Der
Schatten der Arme fällt überhaupt ins Leere, und in den
Augenhöhlen wohnt das Licht. Dafür liegt das rechte
Bein im schwärzesten Schatten und zieht den Wunsch
nach sich, das Ganze möge niemals aus dem Dunkel ans
Licht gekommen sein.



5zo
 
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