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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 12.1914

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Heft 10
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Roessler, Arthur: Zwei Alt-Wiener Interieurs
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https://doi.org/10.11588/diglit.4753#0604

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zwei durch ihren Wandschmuck bedeutsame Säle ent-
deckt, und zwar ein neun Meter langer und sechs Meter
sechzig Zentimeter breiter Saal mit Freskomalerei und
ein fünf Meter fünfzig Zentimeter langer und fünf
Meter zwanzig Zentimeter breiter Salon mit bemalter
Seidenbespannung. Die Wandfresken des ersten Rau-
mes waren zur Zeit der Übergabe des Palastes an das
Land Niederösterreich dickstrichig übertüncht und ver-
kleistert gewesen, während im zweiten Räume die
aparte seidene Wandverkleidung hinter einer hölzernen
Mauerverschaltung verborgen hing. HerrnRegierungsrat
Professor Josef Sturm gebührt das Verdienst, die künst-
lerische Bedeutung des bei der Raumrenovierung der
beiden Gemächer freigelegten alten Wandschmukes er-
kannt und dessen Erhaltung beim Landmarschall Fürst
Liechtenstein angeregt zu haben.

Da die Gliederung der grossen Wandflächen in Felder
und deren Verhältnis zueinander und zum Räume aus
den hier beigegebenen Abbildungen ersichtlich ist, be-
schränke ich mich auf einige Thatsächlichkeiten. Es
handelt sich bei den wahrscheinlich von einem italieni-
schen Maler um die Jahrhundertwende geschaffenen
Fresken allerdings nicht um epochale Meisterwerke
monumentaler Wandmalerei, aber doch immerhin um
respektable Leistungen von trefflicher dekorativer
Wirkung. Der menschliche Körper ist — was ja
stets als Wertmesser für die künstlerische Qualität
einer malerischen Leistung gelten kann — auf allen
diesen klassizistich - allegorischen Darstellungen von
einer augenfällig richtigen formalen Durchbildung.
Die Anordnung und reliefartige Behandlung der im
einzelnen naturalistisch durchgearbeiteten Figuren
wahrt den Malereien die hier bedingte dekorative
Wirkung. Mit vielem Takt ist die dreidimensional
wirkende Tiefenillusion vermieden. Die Einordnung
der Malerei in das Ganze erscheint vollends geglückt.
Daher die starke, eindringlich
und nachhaltende Stimmungs-
wirkung des Gemaches als
Raumganzes.

Die stumme Pracht mit ihrer
zurückhaltenden Hoheit übt un-
gemeine Suggestion aus und
gerne unterwirft man sich ihr.
Die kleinen gerillten Messing-
klinken an den weissen, goldig
kannelierten Flügelthüren blin-
ken blank, es knistert im genau
gefugten Parkettboden und man
fühlt sich so in lullende Stim-
mung eingesponnen, dass man
gewiss nicht erstaunen würde,
wenn sich eine der hohen Thü-
ren aufthäte und aus ihrem Rah-
men die schlanke Gestalt eines
j ener soignierten Herren hervor-

träte, die vormals in diesen Räumen den französischen
Staat repräsentierten. Vom kleinen Marmorkamin, in
dem schon längst keine Buchenscheiter mehr prasseln,
glotzen winzige goldbronzene Masken medusenhaft aus
leeren Augenhöhlen.

Echo du temps passe umfängt den Besucher auch im
zweiten merkwürdigen Raum dieses Palais. Er ist
dimensional kleiner, künstlerisch jedoch bedeutender
als der vormals Repräsentationszwecken dienende, drei-
fenstrige Freskensaa!. Er ist ein Ort wo die Fein-
schmeckerei der Stilamateure ihr Genügen finden kann.
Die Raumwirkung ist hier von grosser Vornehmheit.
Die Wände sind mit bemalter französischer Seide über-
spannt. Irgendwelche frühere Besitzer des Palais hatten
aber keinen Geschmack an der alten originellen Raum-
ausstattung gefunden und deshalb, wie schon erwähnt,
die Wände mit Holztafeln verkleiden lassen worauf
billige Papiertapeten geklebt waren. Gewiss eine
Barbarei, der wir es jedoch wahrscheinlich zu danken
haben, dass uns die schön bemalte Seidenspannung fast
unversehrt erhalten blieb.

Es bestand die Geneigtheit, die figurale Malerei
dieses Raumes Agricola zuzuschreiben. Ich kann mich
zu dieser lokalpatriotischen Meinung nicht bekennen,
halte vielmehr die in Tempera technisch meisterlich
ausgeführten Malereien für Arbeiten eines franzö-
sischen Künstlers, der, unter Verwertung ererbter
traditioneller Mittel, selbständig weiterschaffend, viel-
leicht zur Zeit, als die französische Botschaft diesen
Barockpalast bewohnt hat, aus Paris nach Wien be-
rufen worden war. Der mit der Wanddekoration
durchaus nicht harmonierende, viel später gemalte
Plafond, ist eine verhältnismässig schwache Leistung
und sollte, da er den Gesamtseindruck des sonst ge-
radezu mustergültg zu nennenden Gemaches beein-
trächtigt, unter Beachtung aller gebotenen Vorsicht
beseitigt und durch eine dem
Zeitstil der Wanddekorationen
entsprechende Stuckdecke er-
setzt werden.

Zu bemerken ist noch, dass
die auch im Detail und dem or-
namentalen Zierat geschmack-
volle Malerei, dank der einsich-
tigen Fürsorge des Herrn Re-
gierungsrates Professor Sturm,
von allen Restaurierungsver-
suchen verschont blieb. Anders
wäre dies einzigartige Kleinod
wohl verloren gewesen, denn
die altersmürbe Seide hätte, so-
fern sie nicht voiher rentoilliert
worden wäre, was aus tech-
nischen Gründen nicht tunlich
schien, eine feuchte Restaurie-
rung nicht ausgehalten.

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