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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 6
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Réau, Louis: Houdon zur Zeit der Revolution und des Kaiserreichs, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0265

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robusten Sinnlichkeit des provenzalischen Tribunen.
„Dieser Jüngling", sagt ein zeitgenössischer Me-
moirenschreiber, „hatte eine Feuerseele, die ihm aus
den Augen sprühte, er sprach ohne jede Vorberei-
tung und wußte eine solche Grazie und Natürlich-
keit, einen solchen Sprachreichtum in seinen Reden
zu entwickeln, daß man nicht müde wurde, ihm
bewundernd zuzuhören." Dank dem ihm eigen-
tümlichen psychologischen Scharfblick erfaßte
Houdon mit wundervollem Verständnis diese vor-
nehme Natur, und schon das Kostüm ist außer-
ordentlich charakteristisch gewählt. Während er
Mirabeau so, wie man gewohnt war ihn zu sehen,
in der Kleidung eines Abgeordneten dargestellt hat,
hüllt er Barnave in die antike Toga eines jugend-
lichen römischen Volksredners, die den Hals und
die Brust freiläßt.

Der Dumouriez des Museums in Angers ist
dem Barnave des Museums in Grenoble als eben-
bürtig an die Seite zu stellen. Der geradezu ver-
blüffend lebendige Eindruck, der von dieser Büste
ausgeht, erklärt sich leichter, wenn man weiß, daß
Houdon nach dem Siege von Jemappes die Ge-
sichtszüge des Generals nach der Natur geformt
hatte. Diese Tatsache ist uns durch Louis-Philippe
selbst überliefert, in dessen Sammlung im Palais
Royal sich diese Büste des Generals befand. Statt
der Marmorbüste, die bei der Revolution von 1848
zertrümmert wurde, besitzen wir das Original in
Ton und eine Büste in getöntem Gips. Man kann
sich nichts Packenderes vorstellen, als das Gesicht
dieses durchaus antipathischen Menschen mit dem
falschen Blick in den stechenden Augen und dem
bösartigen Zug um den schief gezogenen Mund.
Hinter der Maske des Siegers von Valmy und
Jemappes errät man den geistreichen Wüstling,
den gewissenlosen Abenteurer, den heimlichen
Zwischenträger, der auch vor dem Verrat nicht zu-
rückschreckt. Heerführer oder Spion? wer ver-
möchte es zu entscheiden?

Wenn alle anderen Büsten Houdons aus dieser
Zeit neben diesen drei Meisterwerken verblassen,
so darf man deswegen nicht auf das Nachlassen
des künstlerischen Genius schließen, sondern muß
bedenken, um wieviel weniger interessant die Mo-
delle waren, die sie darstellen. Adrien Duquesnoy,
ein Abgeordneter des dritten Standes bei den Ge-
neralstaaten, der ein Tagebuch über die Konstitu-
ierende Versammlung hinterlassen hat, und Bordas

Pardoux, Präsident des Rats der Fünfhundert, waren
im Vergleich zu Mirabeau, Barnave und Dumouriez
unbedeutende und farblose Persönlichkeiten.

Nach der Kleidung zu urteilen, müssen diese
Büsten, die nicht datiert sind, in die Epoche des
Direktoriums fallen. Duquesnoy, dessen kahler,
von langen Haaren umsäumter Schädel an eine
Trauerweide gemahnt, hat den Hals in eine Kra-
vatte vergraben, deren Enden bis auf die Brust
herabfallen. Bordas-Pardoux präsentiert sich in der
theatralischen Ausstaffierung der Fünfhundert:Tres-
sen, mit eichelförmigen Quasten, halten auf den
Schultern einen mit goldenen Palmen bestickten
Mantel zusammen. Eines der besten Werke jener
Zeit ist die Büste des Abbe Barthelemy, des be-
rühmten Verfassers der „Reise des Jungen Ana-
charsis". Als Konservator der Medaillensammlung
der National-Bibliothek war er der Nachbar Hou-
dons, dem man dort ein Atelier zur Verfügung
gestellt hatte. Diese Marmorbüste, die im Salon
von 1795, dem Todesjahr des Abbe Barthelemy,
ausgestellt war, hat seitdem ihren Platz in der Biblo-
thek, wo sie entstand, nicht verlassen. Infolge
eines seltsamen Versehens des Gehilfen ist sie
Hondon signiert. Der Biograph Barthelemys sagt,
daß es Houdon in vollendeter Weise gelungen ist,
der Physiognomie dieses Greises eine Mischung von
Sanftmut, Einfachheit, Güte und Größe zu ver-
leihen, die die Seele dieses seltenen Mannes gleich-
sam bloßlegt.

Auch die intimen Büsten Houdons gehören
zum größten Teil der Revolutionsepoche an. Erst
im Jahre 1786, also mit fünfundvierzig Jahren, hatte
er sich verheiratet, und die entzückenden Porträts
seiner drei jungen Töchter, Sabine, Anne-Ange und
Claudine, wurden — eine Tatsache, der man durch-
aus keine Beachtung geschenkt hat — erst nach
1789 geschaffen, jenem Zeitpunkt, den man bisher
als die Götterdämmerung seines Genies angesehen
hat. Im Salon von 1791 stellte der Künstler die
Büste der kleinen fünfjährigen Sabine Houdon aus,
die, wie der Katalog besagt, Herrn Girardot von
Marigny gehörte, einem seiner treuesten Verehrer,
für den er die großen Bronzeabgüsse der Diana
und des Apollos gemacht hatte, nebst dem Porträt
der kleinen fünfzehn Monate alten Ange. Die
Kinderbüste in Gips im Salon von 1793 stellt zwei-
fellos seine jüngste Tochter Claudine dar. Ein
Medaillon inTerrakotta mit der Jahreszahl XII (1789)

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