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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 9
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Wilhelm Waetzoldt: Deutsche Kunsthistoriker.
Zweiter Band: von Passavant bis Justi. Verlag E. A. See-
mann, Leipzig 1924.

Der zweite — abschließende — Band dieser schönen
Arbeit ist mit derselben Dankbarkeit aufgenommen worden
wie der erste. Die Fortsetzung hat nicht nur das hohe
Niveau gehalten, sie geht über den Wert des ersten Bandes
noch hinaus. Je näher Waetzoldt der Gegenwart rückte,
um so plastischer und psychologisch eindringlicher ist seine
Darstellung geraten. Die Charakteristik der einzelnen Per-
sönlichkeiten wird gehoben durch eine klare Disposition,
die alle Erscheinungen in das rechte Verhältnis setzt. Von
den ordnenden Fähigkeiten des Verfassers gibt schon das
Inhaltsverzeichnis einen Begriff. Es ist von fünf Schulen
die Rede: von der „Schule der Kenner" (Passavant, Waagen),
der „Geschichtsphilosophischen Methode" (Hotho, Schnaase),
den „Positivisten" (Koloff, Springer, Semper), der „Kunst-
geschichte nach Aufgaben" (Kugler, Burckhardt) und von den
„großen Biographen" (Grimm, Carl Justi). Es kommen die
Zusammenhänge und die geistesgeschichtlichen Abhängig-
keiten zu ihrem Recht, aber ebensowohl die Begabungen
in ihrer Einmaligkeit und Persönlichkeit. Bessere Abhand-
lungen als die über Grimm und Justi sind in Deutschland
seit langem nicht geschrieben worden. Auch was die Kultur
und Ausdrucksfähigkeit der Sprache betrifft.

Darlegungen im einzelnen würden zu weit führen. Es
muß genügen, mit dem Hinweis auf dieses ausgezeichnete
Buch zu wiederholen, daß Waetzoldt einer der reifsten und
diszipliniertesten Geister der Zeit ist, einer der vorzüglichsten
Gelehrten, auf seinem Gebiete ohne Rivalen und denen
ebenbürtig, deren Lebensarbeit er dargestellt hat. Waetzoldt
weiß, daß kein Mensch die ganze Wahrheit haben kann,
daß diese vielmehr „unter alle ausgeteilt ist", wie Goethe
einmal gesagt hat, und daß sich hieraus schon die ver-
schiedenen Methoden ergeben — die sich ergänzen, selbst
wenn sie sich bekämpfen. Er weiß alles relativ zu nehmen
und bewahrt sich darum genug Freiheit, um zum Beispiel zu
schreiben: „Nichts kann skeptischer stimmen gegen die Un-
fehlbarkeit eigener Urteile als die immer wieder zu machende
Beobachtung, daß die eigentlich entscheidenden Namen
(lebender Künstler) in den Listen der führenden Historiker
jeweils vermißt werden."

Wie jedes gute Buch, weist auch dieses weit über sich
hinaus. Zwischen den Zeilen steht überall die Frage: Was
ist Kunstgeschichte?

Höchst willkommen ist eine Andeutung im Vorwort, daß
die Betrachtung der Kunsthistoriker in anderer Form viel-
leicht bis in die Gegenwart fortgesetzt werden soll. Eine
solche Arbeit müßte wertvoll sein. Es wäre, Zum Beispiel,
wichtig zu wissen, was Waetzoldt von den Bemühungen um
die „Qualität" hält, vom Ethos der Qualität, möchte ich
sagen und von der seltsamen Erscheinung, daß intensive
Bemühungen um den Genuß der Qualität einzelner Kunst-
werke die Schreibfreudigkeit in einer merkwürdigen Weise
lähmt. Das nunmehr abgeschlossene zweibändige Werk kann
nicht besser erhoben werden, als durch das Verlangen nach
einer Fortsetzung. Und durch den Ausruf, den F. T. Vischer
tat, als er ein Buch Gottfried Kellers aus der Hand legte:
„Gut, aber mehr, mehr!" In der Hoffnung, daß die laufen-

den Amtsgeschäfte es dem Gelehrten nicht verwehren, so
viel zu produzieren, wie er es selbst nur immer wünscht.

Karl Scheffler.

Karl Schmidt - Rottluffs Graphisches Werk
bis 1923. Von Rosa Schapire. Euphorion-Verlag, Berlin.

Seit Schief lers vorbildlichem Nolde-Katalog von 1911 ist
kein Graphik-Verzeichnis aus dem gleichen Kreise jüngerer
Künstler erschienen. Dies neue Buch steht sachlich und
künstlerisch zum mindesten auf der gleichen hohen Stufe.

Wenn irgendeiner, so verdient es gewiß Schmidt-Rott-
luff, daß seinem graphischen Oeuvre, das nun schon an-
nähernd 600 Nummern zählt, das registrierende Ordnungs-
bemühen eines wissenschaftlichen Verzeichnisses zuteil ge-
worden ist und damit zugleich die werbende Hilfe für sein
Werk, die ein solches Dokument auszuwirken berufen ist.
Seine Holzschnitte namentlich bedeuten entscheidende Sta-
tionen der neueren Kunstentwicklung, einprägsame For-
mulierungen unseres Bemühens, die „Außenbilder zu Seelen-
bildern" zu gestalten, mächtige Anstöße zur Umbildung
unseres Welt-Anschauens und Welt-Erlebens. Der Künstler
gehört aber dennoch nicht zu den „Eingereihten und den
Rückgewandten", die gewiß sehr individuelle, aberzwingende
Formkraft seiner künstlerischen Handschrift entfernt sich
vielleicht am kühnsten von traditionellen Vorstellungen
(obgleich auch er vom Impressionismus ausging), gewinnt
aber gerade dadurch eine Bedeutung über sein eigenes Werk
hinaus. Sein klarer, männlicher Stil ist nicht eine krampf-
hafte Erfindung, sondern eine erhöhte, natürliche Sprache,
deren Pathos von Sachlichkeit und Strenge getragen wird.
Sein Weg führt nicht zu Willkür und Auflösung, sondern
zu neuer Form.

Es mag fraglich erscheinen, ob bei Einführungen in das
Werk lebender Künstler das werbende Bekenntnis zu den
positiven Kräften dieser neuen Werte die einzig berechtigte
Methode darstellt. Geübt wird sie heute fast ausschließlich
und taktisch mag sie raisonabel erscheinen. Es bleibt in-
dessen zu bedenken, daß ein unkritisches Übermaß von Lob
wohl für das Herz, nicht aber für die Einsicht des Beurteilers
zu sprechen vermag und bei allgemeiner Übung zuletzt
unweigerlich zu einer Minderung der Würde und damit
auch der Werbekraft berufmäßiger Kunstinterpretation führen
muß. Dennoch sei gern zugestanden, daß zwischen leerem
hymnischen Wortschwall und echtem „Zeugnis" der Be-
geisterung ein gewaltiger Unterschied besteht. Zeugnis aber
in des Wortes edelster Bedeutung ist der Text Rosa Scha-
pires, geschrieben gleichsam unter dem Diktat der glühen-
den, aber formstrengen Kunst ihres Helden, in dessen
Dienst sie ihr Leben gestellt hat. Die Methode zugegeben,
läßt sich zu Schmidt-Rottluffs Werk kein angemesseneres
Vorwort denken.

Zur Schönheit des Buchgewandes hat Schmidt-Rottluff
selbst das Beste beigetragen. Die Initialen des Deckels ge-
hören Zu den ausdrucksvollsten Buchstabenarabesken, die
der Künstler geschaffen hat. Man weiß viel zu wenig, welch
ausgezeichnete Gebrauchsgraphik Schmidt - Rott luff macht.
Auch im Innern des Buches stehen neben den vier selb-
ständigen graphischen Blättern mehrere geschnittene Titel-
seiten und ein monumentales Initial, das allerdings doch

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