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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 10
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Meyer, Peter: Fragmente antiker Architektur und ihre Ergänzung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0418

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polismuseum, wo sie jetzt aufbewahrt werden, ist
gewiß eine Scheune von drangvoller Enge, und
doch geht von seinen Originalen ein überwältigen-
der Eindruck aus, vor dem man alle schlechte Auf-
stellung und Trümmerhaftigkeit des Einzelnen ver-
gißt, und zu dem es keiner pompösen Museums-
säle und vorwitzigen Ergänzungen bedarf.

Aber auch der Anschauung des Ganzen, also
unserer zweiten Fragestellung, ist mit solchen Re-
konstruktionen wenig gedient. Von den so be-
liebten Tempelecken, oder den üblichen zwei Säulen
mit Gebälk, können wir von vornherein absehen:
wohl die allerwenigsten Betrachter können sich
auf Grund dieses Teiles das Ganze vorstellen, und
diese Wenigen brauchen auch diesen Teil nicht
in kompletter Ergänzung. Bleiben die ganzen Fas-
saden: ihr Wert für lebendige Anschauung ist
nicht viel größer. Griechische Bauwerke sind emi-
nent plastisch empfunden, sie wollen dinghaft, als
Körper, also aus einer gewissen Distanz gesehen
sein, sie brauchen Luft und Atemraum rundum,
Bedingungen, wie sie auch der größte Museums-
saal nie bieten kann. Baut man irgendeine Tempel-
stirne, ein Tor oder ähnliches an der Wand eines
Saales auf, so verfälscht man eine plastisch ge-
meinte Komposition ins Reliefmäßige, man ver-
gewaltigt die griechische Idee ärger, als wenn man
sie in einem Modell reduzierten Maßstabes zur
Darstellung brächte.

Und damit kommen wir aus der bloß kriti-
schen Betrachtung zum Positiven: es wäre nämlich
gar nicht so schwierig, die Anschaulichkeit, die mit
diesem Ungeheuern Aufwand an Raum und Geld ver-
geblich erstrebt wird, mit geringen Mitteln wirklich
zu erreichen. Nämlich die Anschaulichkeit des Ein-
zelstückes dadurch, daß man es überhaupt nicht er-
gänzt, oder doch nur ganz diskret, wie dies für statua-
rische Plastik Grundsatz geworden ist. Und die An-
schaulichkeit des Ganzen dadurch, daß man neben
den echten Fragmenten Rekonstruktions-Zeich-
nungen aufhängt, etwa in jener ganz ausgezeich-
neten, diskret-sachlichen Art, wie sie F. Kri-
schen in Danzig zeichnet. Oder noch besser: man
stelle Modelle im Maßstab i: 5 für kleine, bis 1: 50
für große Gebäude auf, solche Modelle bieten viel
mehr als die Rekonstruktion in Naturgröße, ganz
abgesehen von der Raum- und Kostenersparnis.
Denn sie wirken auch im beschränkten Raum eines
Museumssaales kubisch, als plastische Körper, sie

sind womöglich allseitig umgehbar, außerdem
kommt in ihnen das unedle Material nicht zur
Geltung, weil man Modelle ohnehin nicht auf
Echtheit, auf das Korn ihrer Oberfläche untersucht,
man kann den Eindruck der Wirklichkeit durch
illusionistische Mittel anstreben, ohne daß es als
Fälschungsversuch empfunden wird. (Ich erinnere
mich an alte Modelle römischer Bauten aus farbig
behandeltem Kork in der Münchener Technischen
Hochschule, die die poröse Oberfläche des Traver-
tins nach Körnung und Farbe schlechthin vor-
züglich herausbrachten.)

Aufzeichnungen und Modellen kann man auch
Versuche in Polychromie wagen, und auch von
dieser Seite dem antiken Originaleindruck näher
kommen als mit gipsernen Naturdetails, die man
schon den darin eingelassenen echten Stücken zu-
liebe nicht wird anstreichen wollen. Bei solchen
Modellen wäre dann auch das Unglück einer ge-
legentlich falschen Ergänzung oder Polychromierung
nicht allzu groß, denn im reduzierten Maßstab wirkt
alles unverbindlicher, von vornherein nur als Mut-
maßung und Vorschlag, und mehr sein zu wollen
sollte sich keine Rekonstruktion anmaßen.

Es wird behauptet, mit den geplanten Er-
gänzungen werde Berlin eine vollständige Vor-
führung der antiken Baukunst vom sechsten Jahr-
hundert vor, bis zum zweiten nach Christus be-
sitzen. Nachdem wir im vorigen die Anschau-
lichkeit des Einzelnen im Detail und im Ganzen
untersucht haben, bleibt also noch der Wert der
Rekonstruktionen für diese wissenschaftliche Vor-
führung zu prüfen. Das ist nun zweifellos klar,
daß mit obiger Behauptung reichlich zu viel ge-
sagt ist: denn die Athener werden den Berlinern
schwerlich eine Säule mit Gebälk vom Parthenon
stiften, um nur dies eine zu sagen. Vollständig-
keit mit Originalstücken zu erreichen, ist von vorn-
herein unmöglich, man wird also ganze Systeme
im Abguß aufstellen müssen (und dabei finden, daß
diese Abgüsse relativ erfreulicher, weil homogener
wirken, als diejenigen Gipsgebilde, in denen echte
Brocken schwimmen!). Von Anschauung, also von
ästhetischen Werten ist dabei allerdings nicht mehr
die Rede, das Museum wird eine Art Deutsches
Museum für Archäologie, ein zu Gips versteiner-
tes Kolleg. Und da diese Sammlung vermöge
ihrer ungeheueren Dimensionen höchst unübersicht-
lich sein wird, fällt selbst dieser wissenschaftliche

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