giert und geleitet werden, um auch nur im Ent-
ferntesten den Eindruck einer lebendigen Bewegung
hervorzurufen?
Käme nicht das Geheimnis künstlerischer Wir-
kung dazu und würde sich nicht das Wunder der
Illusion darüber breiten, bliebe es allerdings ein
wesenloses Geschehen. Es handelt sich eben nicht
um die realistische Wiedergabe des menschlichen
Körperbaus und seiner Bewegungen, sondern um
die Darstellung von Kräften und Elementen des
Lebens, die durch das Spiel der Marionetten einen
immer neuen, überraschenden, beglückenden Aus-
druck finden.
Zwei Gesetze, die unmittelbar von den tech-
nischen Voraussetzungen abzuleiten sind, bewirken
die Zauberei, daß diese Holzpuppen unser Ge-
müt erregen können, daß diese Holzpuppen uns
in ihren Bann zwingen, uns Tränen der Be-
glückung und Tränen des Schmerzes zu lösen ver-
mögen.
Die gute Marionettenfigur stellt in ihren Maßen
und Verhältnissen der einzelnen Glieder kein ge-
treues Abbild des menschlichen Körpers dar. Sie
weicht davon bewußt ab und betont die Dimen-
sion und Fülle eines bestimmten Gliedes nach
Grundsätzen der Typisierung, die das ganze Spiel
beherrschen muß. Die Holzpuppe, die auf ein
mimisches Gestalten verzichten soll, verlangt dafür
einen gültigen, typischen Ausdruck ihrer Gestalt.
Sie verschmäht psychologische Wandlungen und
beschränkt sich auf die reine Form der einmaligen
Erscheinung. Und damit stellt sich der Glieder-
mann in tiefen Gegensatz zum Schauspieler. In
jedem Augenblicke des Geschehens nämlich haftet
ihm immer ganz die Wahrheit seines Wesens an.
Er gibt sich naiv, die Kraft, die ihn bewegt,
nämlich der Faden, dem er gehorchen muß, wirkt
unmittelbar. Zwar ist es eine Puppe aus Holz,
darüber kann kein Zweifel sich einschleichen, aber
was mit ihr geschieht, zeigt sie mit solcher An-
mut, mit solcher Grazie, weil sie es wahr, ohne
seelische Ziererei und ehrlich zeigt, daß man da-
von überwunden wird und schließlich doch ver-
gißt, daß es eine Puppe aus Holz ist. Was für
alles künstlerische Geschehen der innere Maßstab
ist, nämlich, daß man glaubt, was man sieht, gibt
der Marionette das erste Gesetz.
Die Füße der Marionetten sind meistens durch
Bleieinlagen beschwert. Der reale Schwerpunkt
der Figur entspricht durchaus nicht dem natür-
lichen und dem optischen. Dadurch wird die Art
der Bewegung, welche eine Marionette ausführt,
bestimmt. Hebt die Hand des Spielers die ganze
Figur und überwindet für sie gleichsam die Träg-
heit der Materie, läßt sie fast schweben über dem
Boden hin, wird gerade dadurch, daß die Beine
und Füße nur ruhig und leicht den Rhythmus
der Gesamtbewegung mitmachen, die Täuschung
rein hervorgerufen, als ob die Figur das Gesetz
der Schwerkraft überwunden hätte. Dabei folgen
alle Glieder der Puppe einer Bewegung eines ein-
zelnen Gliedes in harmonischer Weise und fügen
sich ihr natürlich, das heißt nur den mechanischen
Gesetzen der Schwere gehorchend. Berechnung
der Geste und Falschheit des Ausdrucks sind so
gar nicht möglich. Dafür liegt in jeder Bewegung
für den Beschauer eine Überraschung, etwas un-
verfälscht Ursprüngliches und Echtes, dem die
Kraft der Uberzeugung beigegeben ist, und das
immer heiter und lieblich wirkt, wie alles Ge-
schehen der Natur. Aus diesen beiden Grundbe-
stimmungen der reinen Illusion und der natür-
lichen Bewegung baut sich die Welt des Mario-
nettenspiels auf. Ihnen müssen sich Inhalt und
Form eines Stückes unterordnen. Sie beschränken
und bedingen den Stil dieses Theaters, welches
seine Reize und Herrlichkeiten nur dem offenbart,
der einfachen Herzens ist.
Das schweizerische Marionettentheater wurde
aus Anlaß der großen Werkbundausstellung ipi8
in Zürich gegründet. Sein Schöpfer, Direktor
Alfred Altherr, hat es dann der Kunstgewerbeschule
eingegliedert. In der bewußten Entwicklung und
Entfaltung der eigentlichen Werte und künstleri-
schen Pflege des Puppenspiels wurde während der
kurzen Geschichte von acht Jahren recht Bedeuten-
des geleistet. Kunstmaler Otto Morach hat in einer
glücklichen Zusammenarbeit mit Bildhauer Carl
Fischer, der für das Theater die Puppen schnitzt,
einen Stil geschaffen, der von realistischen Miß-
griffen ebenso entfernt ist, wie von einem kunst-
gewerblichen Pröbeln. Im vorigen Jahr fanden vier
Neuinszenierungen statt. In einer Neubearbeitung
von Jakob Rudolf Welti wurde das Poccistück
„Das Eulenschloß" gegeben; dann eine reizende
Oper von Pergolesi: „Liviette und Tracollo". Einen
einzigartigen Genuß bot die Uraufführung des
galanten Puppenspiels von Ernst Toller: „Die Rache
472
ferntesten den Eindruck einer lebendigen Bewegung
hervorzurufen?
Käme nicht das Geheimnis künstlerischer Wir-
kung dazu und würde sich nicht das Wunder der
Illusion darüber breiten, bliebe es allerdings ein
wesenloses Geschehen. Es handelt sich eben nicht
um die realistische Wiedergabe des menschlichen
Körperbaus und seiner Bewegungen, sondern um
die Darstellung von Kräften und Elementen des
Lebens, die durch das Spiel der Marionetten einen
immer neuen, überraschenden, beglückenden Aus-
druck finden.
Zwei Gesetze, die unmittelbar von den tech-
nischen Voraussetzungen abzuleiten sind, bewirken
die Zauberei, daß diese Holzpuppen unser Ge-
müt erregen können, daß diese Holzpuppen uns
in ihren Bann zwingen, uns Tränen der Be-
glückung und Tränen des Schmerzes zu lösen ver-
mögen.
Die gute Marionettenfigur stellt in ihren Maßen
und Verhältnissen der einzelnen Glieder kein ge-
treues Abbild des menschlichen Körpers dar. Sie
weicht davon bewußt ab und betont die Dimen-
sion und Fülle eines bestimmten Gliedes nach
Grundsätzen der Typisierung, die das ganze Spiel
beherrschen muß. Die Holzpuppe, die auf ein
mimisches Gestalten verzichten soll, verlangt dafür
einen gültigen, typischen Ausdruck ihrer Gestalt.
Sie verschmäht psychologische Wandlungen und
beschränkt sich auf die reine Form der einmaligen
Erscheinung. Und damit stellt sich der Glieder-
mann in tiefen Gegensatz zum Schauspieler. In
jedem Augenblicke des Geschehens nämlich haftet
ihm immer ganz die Wahrheit seines Wesens an.
Er gibt sich naiv, die Kraft, die ihn bewegt,
nämlich der Faden, dem er gehorchen muß, wirkt
unmittelbar. Zwar ist es eine Puppe aus Holz,
darüber kann kein Zweifel sich einschleichen, aber
was mit ihr geschieht, zeigt sie mit solcher An-
mut, mit solcher Grazie, weil sie es wahr, ohne
seelische Ziererei und ehrlich zeigt, daß man da-
von überwunden wird und schließlich doch ver-
gißt, daß es eine Puppe aus Holz ist. Was für
alles künstlerische Geschehen der innere Maßstab
ist, nämlich, daß man glaubt, was man sieht, gibt
der Marionette das erste Gesetz.
Die Füße der Marionetten sind meistens durch
Bleieinlagen beschwert. Der reale Schwerpunkt
der Figur entspricht durchaus nicht dem natür-
lichen und dem optischen. Dadurch wird die Art
der Bewegung, welche eine Marionette ausführt,
bestimmt. Hebt die Hand des Spielers die ganze
Figur und überwindet für sie gleichsam die Träg-
heit der Materie, läßt sie fast schweben über dem
Boden hin, wird gerade dadurch, daß die Beine
und Füße nur ruhig und leicht den Rhythmus
der Gesamtbewegung mitmachen, die Täuschung
rein hervorgerufen, als ob die Figur das Gesetz
der Schwerkraft überwunden hätte. Dabei folgen
alle Glieder der Puppe einer Bewegung eines ein-
zelnen Gliedes in harmonischer Weise und fügen
sich ihr natürlich, das heißt nur den mechanischen
Gesetzen der Schwere gehorchend. Berechnung
der Geste und Falschheit des Ausdrucks sind so
gar nicht möglich. Dafür liegt in jeder Bewegung
für den Beschauer eine Überraschung, etwas un-
verfälscht Ursprüngliches und Echtes, dem die
Kraft der Uberzeugung beigegeben ist, und das
immer heiter und lieblich wirkt, wie alles Ge-
schehen der Natur. Aus diesen beiden Grundbe-
stimmungen der reinen Illusion und der natür-
lichen Bewegung baut sich die Welt des Mario-
nettenspiels auf. Ihnen müssen sich Inhalt und
Form eines Stückes unterordnen. Sie beschränken
und bedingen den Stil dieses Theaters, welches
seine Reize und Herrlichkeiten nur dem offenbart,
der einfachen Herzens ist.
Das schweizerische Marionettentheater wurde
aus Anlaß der großen Werkbundausstellung ipi8
in Zürich gegründet. Sein Schöpfer, Direktor
Alfred Altherr, hat es dann der Kunstgewerbeschule
eingegliedert. In der bewußten Entwicklung und
Entfaltung der eigentlichen Werte und künstleri-
schen Pflege des Puppenspiels wurde während der
kurzen Geschichte von acht Jahren recht Bedeuten-
des geleistet. Kunstmaler Otto Morach hat in einer
glücklichen Zusammenarbeit mit Bildhauer Carl
Fischer, der für das Theater die Puppen schnitzt,
einen Stil geschaffen, der von realistischen Miß-
griffen ebenso entfernt ist, wie von einem kunst-
gewerblichen Pröbeln. Im vorigen Jahr fanden vier
Neuinszenierungen statt. In einer Neubearbeitung
von Jakob Rudolf Welti wurde das Poccistück
„Das Eulenschloß" gegeben; dann eine reizende
Oper von Pergolesi: „Liviette und Tracollo". Einen
einzigartigen Genuß bot die Uraufführung des
galanten Puppenspiels von Ernst Toller: „Die Rache
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