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Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: Periodica — 1.1929/​1930

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Wolfradt, Willi: Zu dem Bilde: "Hinterhäuser im Schnee" v. Josef Wedewer
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https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0092

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Zu dem Bilde:
,,Hinterhäuser im Schnee“ v. Josef Wedewer
Nichts als eine Aufgipfelung trübroter Ziegelmauern und beschneiter
Dächer gibt das kürzlich auf einer Ausstellung des „Kunstblatt“ im Recken-
dorfhaus-Berlin gezeigte und durch Schenkung in die Nationalgalerie einge-
gangene Gemälde des jungen Wedewer aus Münster wieder. Schmucklose,
winkelig ineinandergerückte und zur Pyramide spitz emporgedrängte
Häuserwürfel vor einem grauen Winterhimmel. Nichts weiter ist auf diesem
bescheidenen Bilde zu sehen.
Wer vom Maler verlangt, daß er in seinem Ausschnitt etwas von der
Buntheit des Lebens einfange oder doch mindestens die Farbenfreude seiner
Palette entfalte, wird sich vielleicht enttäuscht von einer so kargen Dar-
stellung abwenden. Dem Auge jedoch, das vom Bilde keine Lesebuchgeschichte
fordert, sondern es als in sich ruhende, vom Spiel und Gefüge der Formen
erfüllte Gestaltung aufzufassen versteht, offenbart es die Schönheit fein in sich
geschlossener Zusammenhänge. Ihm bietet es eine kristallinische Traube ver-
schränkter, einander überklimmender Häuser, deren gesamte Zuspitzung
ausgeht und ihren Auftrieb gleichsam empfängt aus den vielen im Bilde ver-
teilten Giebelwinkeln der Dächer.
Wände und Dachschrägen sind die Elemente, aus denen allein der Aufbau
bestritten ist. Der weiße Schnee hebt sie deutlich gegeneinander ab und macht
recht sichtbar, wie sie sich durchdringen. Es entsteht im Wechsel roter,
dunklerer Wandfelder und heller Dachfelder eine nahezu schachbrettartige
Gliederung der Bildfläche. Die Betonung der schräg ansteigenden Teile durch
den Schnee bewirkt, daß man die Aufspitzung des Ganzen, zu der sie beitragen
und in die sie münden, als den entscheidenden Bildvorgang erlebt. Sie wird
unterstützt und fortgesetzt durch die Schrägstellung aller Bauformen. Man ent-
deckt kaum eine horizontal verlaufende Kante, kaum eine Fläche, die parallel
zur Bildebene liegt. Auch die tatsächlich nicht ansteigenden Linien heben sich
in der perspektivischen Erscheinung.
So baut sich ein System verschachtelter Schrägformen zugleich empor und
in die Bildtiefe hinein. Bereits am unteren Rande wird das Auge von einer
Dachfirstkante schräg über die ganze Breite der Leinwand geleitet und so
fort in Kehren bis zum Gipfel der Pyramide, gleichzeitig in den Mittelgrund
und die tieferen Raumschichten. Die ebenfalls ganz vorn abschwingenden
Linien der Telephondrähte geben dem Blick höchst sinnfällig entsprechende
Anweisungen, indem sie sich kühn durch den Raum spannen.
Erst in der oberen Bildhälfte finden sich horizontale Linien, einige kurze
zunächst, die von den Seitenrändern her die Aufwärtsbewegung vorsichtig
bremsen, schließlich die höchste Dachkante, in der sie zur Ruhe kommt. Diese
Abschlußkante begrenzt eine zur Bildebene parallele Wand, die ihrerseits die
Tiefenbewegung beschwichtigend auffängt. Sie ist als einzige verputzt und
bildet in ihrem weichen Grau den Übergang zum Hintergrund-Vorhang des
Himmels. Die umfassende Folgerichtigkeit der Komposition beschränkt sich
nämlich durchaus nicht auf das Gerüst der Linien und Flächen, sie ordnet auch
die eigentlich malerische Durchführung. So unterscheidet der Schnee Dächer
von Mauerpartien nicht nur nach Farbe und Helligkeitswert, sondern auch
hinsichtlich der Malart und Beschaffenheit. Das Weiß ist sehr eigenartig als
borkiger Überzug angelegt und kontrastiert kräftig gegen die weitaus dünner
und lockerer behandelten, im Ton zwischen Rotbraun und Graurosa bewegten
Ziegelwände. Über der Logik der Bildarchitektur, die um so stärker anspricht,
als sie sich nicht im mindesten selbständig macht, sondern völlig im Einver-
nehmen bleibt mit der Wirklichkeit, kommt auch die stimmungsmäßige Ver-

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