Karl Heinrich, Salze
Dogge
Ku n st befracht u ng
von
DR. ERNST ZIERER
4.
Was ist also Kunst? Diese Frage stellte sich am Ende unserer Unter-
suchungen über den Zustand der geläufigen Kunstkritik ein, oder gerade
herausgesagt, wir fanden, daß diese Frage weder durch den Laien noch durch
den Fachmann eine Beantwortung erfahren hat, wenigstens nicht dort, wo
uns Kunsturteile und Werturteile entgegentreten. Wir können uns aber nur
auf „Urteile“ berufen, wenn wir die Lage unserer Kunstbetrachtung charak-
terisieren sollen. Daß sich trotz aller unhaltbaren Ergebnisse der gewohnten
Kunstbetrachtung einige Menschen gegen diese Forschungsweise auflehnen
und ihr das Vertrauen entziehen, ist noch nicht Beweis dafür, daß es ihnen
auch wirklich gelungen sei, aus der Opposition heraus, in der Kunst mehr
als bloß „Physiognomie“ zu erblicken, d. h. daß in diesen Ausnahmefällen
die Argumente gegen die bestehende „relative“ Anschauung wirklich auch
schon auf eine „absolute“ Anschauung gerichtet sind. Ihre Verwirklichung
blieb vielmehr gleichzeitig mit der Frage, was Kunst sei, unerfüllt. Der Wunsch
nach einer absoluten Anschauung ist noch nicht sie selbst. Ich sage dies, um
bei ihrer Vorführung den Leser zur restlosen Befreiung von den bestehenden
Theorien und Auffassungen über Kunst aufzufordern, da sie sich nur als
Hindernisse zwischen uns schieben könnten. Das Verlangen allein, diese Hinder-
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