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Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: Periodica — 1.1929/​1930

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Zu Hermann Hörner: "Blick auf Berlin"
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https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0164

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Zu Hermann Hörner: „Blick auf Berlin“
Längst sind die Maler in den Städten heimisch geworden, längst ist
Straßenbild, Schauspiel städtischen Menschentreibens, Gedränge und Groß-
zügigkeit der Erscheinung in das künstlerische Erleben eingegangen. Jene
einseitige Naturschwärmerei, die nur in ländlicher Abgeschiedenheit und unbe-
wohnter Gegend Licht zu atmen, Farben zu trinken, Ferne zu träumen fand,
die nur im Angesicht der Berge und Wälder gestimmt war, die Musik der
Erde zu vernehmen, sie ist überwunden. Hinter uns die Zeit, da ganze Maler-
gruppen der ihnen nichtssagenden Stadt ostentativ den Rücken kehrten und
sich in irgend ein stilles Moor, ein entlegenes Tal verkrochen, um dort der
Schönheit aufzulauern. Inzwischen ist der Ausdrucksgehalt der scharf und
stracks in den Bildraum dringenden Häuserzeile und der mannigfach verkreuz-
ten Architekturformen überhaupt, ist der besondere Reiz ihrer Begegnung mit
den als Fluß, Rasenplatz, Himmel aufleuchtenden Natur-Einsprengseln, ist das
Packende ihrer prosaischen Lebensnähe immer allgemeiner ersichtlich gewor-
den. Die ganze Mannigfaltigkeit städtischer Motive liegt heute vor dem
Maler und wird auch von ihm aufgegriffen.
Eine Totalansicht, wie sie der junge Hermann Hörner in seinem von der
Höhe des Witzlebener Funkturms herunter aufgenommenen, von der „Funk-
Stunde“ angekauften Bilde gegeben hat, ein umfassendes Panorama der Groß-
stadt hat man gleichwohl noch nicht zu geben gewagt. Der sicherlich nicht
zuletzt durch die jetzt häufig zu sehenden Flugzeugphotos angeregte Versuch,
den Riesenkomplex des Häusermeeres Berlin auf die Leinwand zu bannen, hat
in seiner kühnen Eigenart etwas Sensationelles. Er erregt durch eine Ver-
bindung von fast kartographischem Detailblick und malerisch bewegtem Sinn
für das Schwirren und Kribbeln tausendfach geschaarter Winzigform. Man hat
einen Plan vor sich, der ohne Pedanterie das städtebauliche Gesicht Berlins
festhält, wie es sich einem Blick von Westen her darbietet. Wer diese Stadt
kennt, wird sich ohne weiteres zurechtfinden: im Vordergrund die Ausstel-
lungshalle und der Gürtel der Ringbahn, deren Kurve rechts als Stadtbahn ins
Bild hineinführt und bis zur Kaiser-Wiilhelm-Gedächtniskirche zu verfolgen ist;
weiter der blaue Aufblick des parkumsäumten Lietzensees, dahinter das grüne
Tiergartenherz Berlins als Nabe, um die das mächtige Rad des kreisenden
Gewirrs schwingt; die Züge der Kantstraße und des Kaiserdamms treten als
Speichen dieses Rades klar heraus. Daß dann etwa die Kantstraße nicht genau
zur Gedächtniskirche zielt, ist künstlerische Korrektur der Wirklichkeit um
einer unzersplitterten Bildanlage willen. Ähnliche Freiheiten, die den Tat-
bestand der Gestaltung unterordnen, werden auch sonst zu finden sein. Dafür
sichern überall minutiös eingesetzte Merkpunkte des Berliner Stadtbildes, wie
etwa die mitten aus dem Labyrinth schattenhaft und doch charakeristisch auf-
tauchenden Rundformen der Domkuppel oder einer bestimmten Gasanstalt, wie
der grüne Strich der Linden oder der rote Akzent des Rathausturmes, bis in
die verschwimmende Tiefe hinein sozusagen die Porträtähnlichkeit. (Die Photo-
graphie muß da manches schuldig bleiben.) Wie sich das in rosigen Dunst
getauchte, unabsehbare Beet der Häuser atmend hebt, wie das engmaschige
Gewirk kleinster Formen vibrierend sich ins Große dehnt, wie dieser lebende
und blühende Organismus schwillt und pulst, das ist bei aller Genauigkeit im
einzelnen, die dem architektonischen Gefüge voll gerecht wird, aus einem
lauschenden und schweifenden Naturgefühl heraus erschaut.
Willi W o 1 f r a d t.

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