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Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: Periodica — 1.1929/​1930

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Wolfradt, Willi: Zu dem Steinstich von Wilhelm Heise
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https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0192

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Zu dem Sfeinsfich von Wilhelm Heise
Die Folge großer Blätter, der das hier wiedergegebene entnommen ist,
darf als eine der eigenartigsten und reizvollsten Schöpfungen der zeit-
genössischen deutschen Graphik bezeichnet werden. Schon die Technik ist un-
gewöhnlich, das Steinstichverfahren, das ein mikroskopisch engmaschiges
Gespinst feinster Einritzungen über die Fläche breitet. Beim Umdruck des
Steines erscheint das unendlich zart und minutiös gewirkte Strichelnetz als
weißes Spinnweb auf schwarzem Grunde. Diese Methode, dem Kupferstich
wesensnäher als der Lithographie, gestattet eine letzte Präzision der Dar-
stellung, gewährt die äußerste Genauigkeit und Klarheit des Details, um
zugleich eine schattige Weiche, einen phosphoreszierenden Schimmer von
zauberhafter Wirkung herzugeben. Sie ermöglicht die bestrickende Ver-
bindung von spitziger Eindringlichkeit und krauser, sprühender Phantastik,
die diesen Arbeiten des still und etwas abseits schaffenden, 1892 zu Wies-
baden geborenen, nun in Leoni am Starnberger See beheimateten Künstlers
ihr eigentümliches Gepräge verleiht. Sie ermöglicht Wiedergaben der
Pflanzengestalt oder eines von Gras und Moos überwirrten Stückes Wald-
boden, die die Erscheinung mit geradezu botanischer Gewissenhaftigkeit er-
forschen und dabei den überwirklichen Glanz der Natur, die geheimnisvolle
Unabsehbarkeit ihrer Fülle spiegeln. Großaufnahmen von Königskerzen etwa
lassen aus Büscheln pelzigen Blättergelappes glitzernde Raketen aufsteigen,
die den mit Hunderten von Blüten besetzten schlanken Schaft hell zwischen
Baumgewurzel und dunklem Wuchern emporrecken. Die Kleinwelt eines
nah betrachteten Fleckchens Walderde, zwischen dessen Krumen und Steinchen
Klee und Halme sprießen, Heuschrecken kauern, Schneckenhäuser siedeln,
tausendfältiges Wachstum sich regt, ist so intim erschaut und geschildert,
daß man den Atem anhält. Dem geringsten Kraut widmet sich diese wunder-
bare Ausführlichkeit, die kein Äderchen übersieht, jedes Blättchens Zacken-
rand liebevoll nachbildet. Man kann sich in einen Quadratzoil nach dem
andern vertiefen, um erstaunt und beglückt die andächtige Sorgfalt und
Subtilität, den zierlichen Reichtum der Darstellung so recht auszukosten.
Daß sie sich jedoch nicht an das Einzelne verliert und allenthalben die
Gesamtgestalt im Auge behält, immer das Viele zu kristallisieren, das Kleine
einer beherrschenden Form unterzuordnen vermag: dies erst bestimmt ihren
künstlerischen Rang. Gerade das Blatt „Meine Glockenblume“ veranschaulicht
diesen Vorgang der Zusammenfassung einer hundertfältigen Vielteiligkeit
durch ein entscheidendes Motiv. Hinter dem mit Geröll und Vegetation dicht
angefüllten Vordergründe, dessen Gedränge der Steinchen und hingeduckten
Pflänzchen wippende Glockenstengel und feine Grasschwerter unzählig durch-
brechen, findet der entzückte Blick Wehr und Wassermühle abermals in
minutiösester Detailklarheit mitgeteilt, die das sauber und niedlich von
lockiger Laubnatur umbuschte Häuschen und den hier glatt hinfließenden,
dort mannigfach zerstrählt niedersprudelnden und schließlich in welligem
Gehüpf weitereilenden Fluß als ein Mosaik winziger Formen darbietet. Das
Blatt ist in allen seinen Schichten zu blinkendem Getriller zerlegt, unaus-
gesetzt und verwirrend mit Kleinwerk beliefert. Es zerranne unter den
Augen, wäre nicht diese unermüdliche Akkuratesse der zeichnerischen Durch-
dringung, diese glashelle Schärfe der Ausführung, raffte nicht vor allem das
immer wiederkehrende Motiv Sternenhaften oder fächerigen Auseinander-

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