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Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: Periodica — 1.1929/​1930

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Schmidt, Paul Ferdinand: Zu dem Holzbildwerk von Ludwig Gies
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https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0254

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Zu dem Holzbildwerk von Ludwig Gies
Befremdend beim ersten Anblick, fesselt das Relief von Ludwig Gies immer
stärker, je mehr man sich in seine künstlerische Besonderheit versenkt. Dieser
Bildhauer begnügt sich niemals mit dem plastischen Abdruck der Wirklichkeit.
Er sucht seine starken Empfindungen voll körperlichen und vor allem voll
religiösen Ausdrucks in der Eigenart des verwendeten Materials zu spiegeln.
Getriebenes ,Metall und geschnitztes Holz sind seine Lieblingsstoffe; und
man wird in diesem Beispiel des auf dem Esel reitenden Christus finden, daß
er die Vorteile von beiden zu vereinen weiß. Denn hier nimmt er zwar ein
altes, von zahllosen Rissen zerspelltes Holzbrett, um seine Vision zu verwirk-
lichen. Aber er behandelt es nicht so, daß er seine Zeichnung als erhabenes
Relief daraus erstehen läßt: sondern er treibt die körperliche Form durch
tiefe Höhlungen und Rillen beinahe negativ in die ebene Holzfläche hinein.
Nun aber nicht in völlig negativer Art, so etwa, daß eine Hohlform entstände,
die erst durch Ausgießen in Gips oder Metall das richtige plastische Bildnis
ergäbe, sondern mit einem Wechsel von hohlen und herausstehenden Einzel-
formen, deren Zusammenspiel bei genügendem Abstand für das Auge des
Betrachters die Darstellung ergibt. Das heißt also in Wahrheit: er behandelt
das Holz teilweise in reliefmäßiger Art — durch Hervorwölbung von Buckeln
und Leisten — teilweise in der Art getriebener Hohlformen von Metallblech:
eine höchst geistreiche und freilich nicht ganz leicht zu überschauende Kunst-
form. Der Körper Christi und des Esels hebt sich plastisch aus. dem dunklen
Grunde heraus, der durch Aushöhlen der Umgebung entstanden ist, aber die
Einzelformen des Körpers sind aus der Gesamtmasse wiederum durch Aus-
höhlen herausgeformt, z. B. die Augenpartie, die Brust und der Oberschenkel
Christi, Hals und Augen des Esels, und so geht es weiter in den Unter-
partien, die einen beinahe zeichnerischen Wechsel von Licht und Schatten
aus der Fläche des Holzes holen.
Man sieht: die Beleuchtung ist hier ebenso wichtig für die Erkenntnis der
Formen wie die Modellierung selbst, ja, der scharfe Lichteinfall mit seinem
ausgesprochenen Wechsel von hellen und sehr dunklen Teilen ermöglicht
überhaupt erst die Vorstellung eines geschlossenen Körpers. Es fehlen alle
Beigaben: die Jünger, das jubelnde, Kleider und Palmen ausbreitende Volk,
das Tor Jerusalems. Aber dieses alles ist unwesentlich und wird ersetzt
durch den ungefügen Bogen, der die Gestalt einfaßt und zu etwas Be-
sonderem erhebt.
Hat man sich an das Außerordentliche dieser Vereinfachungen im Inhalt
erst gewöhnt, der eine schwierige Vielfalt der Formung gegenübersteht, so
wird man entdecken, daß hier eine ernste und tiefe Auffassung der schönen
Legende gegeben ist. Ludwig Gies hat die so oft gemalte und gemeißelte
Szene mit einem neuen und innigen Geist erfüllt; sie ist unter seinen
bildnerischen Händen zu einem Symbol für den Sieg des großen Menschen
über die Unbill der Welt geworden und über ihren bloß christlichen Gehalt
hinausgewachsen.
Paul F. Schmidt.

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