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Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: Periodica — 1.1929/​1930

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Wolfradt, Willi: Zu dem "Angler"-Blatt von Johannes Wüsten
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https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0116

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Zu dem „Angler“-Blaff von Johannes Wüsfen
Andere graphische Verfahren haben den Kupferstich, im Zeitalter
Albrecht Dürers neben dem Holzschnitt die entscheidende Technik druck-
barer ' Zeichnung, längst fast völlig verdrängt. Das raschere, freiere
Temperament, die gelöstere Hand der Neuzeit gab und gibt der leicht über
die Kupferplatte hinspielenden Radiernadel den Vorzug gegenüber dem
ungleich mühsamer und geduldiger zu hantierenden, knifflige Kleinarbeit
fordernden Werkzeug der Stecherkunst, dem Grabstichel. Weder die auf den
flüchtigen Augenblick gerichtete, den ungefähren Eindruck andeutende Dar-
stellungsweise des sogenannten Impressionismus, noch auch die leidenschaftlich
erregte und visionär stammelnde Verkündung im expressionistischen Gestalten
konnte sich für ein so langsames und präzises Verfahren der Zeichnung er-
wärmen, wie es der Kupferstich seiner ganzen Natur nach ist. Vielleicht aber
will nun wieder die Zeit für ihn herankommen, da sich recht allgemein die
Lust an genau und ausführlich, klar und hart festhaltender Darstellung geltend
macht. Der geschärfte, mitunter sogar etwas bissige Blick, mit dem die
Gegenwart Dinge und Menschen zu betrachten liebt, verlangt die ihm ent-
sprechende exakte, unverschleierte, ja schonungslose Wiedergabe. Die
spitzige, eindringliche, nichts vertuschende Arbeitsweise des Kupferstiches
erscheint besonders geeignet, einem solchen Sehen Ausdruck zu verleihen.
Noch mag es verfrüht sein, zu reden von einer Erneuerung des Kupfer-
stiches aus dem spottgeschärften, sachlich kühlen Geiste unserer Zeit, aus
ihrer klarblickenden und kritischen Entschlossenheit zum Wirklichen. Denn
vorerst haben nur wenige deutsche Graphiker wieder den Stichel zur Hand
genommen, und manche von ihnen ohne innere Beziehung zu den Dar-
stellungsinstinkten der Gegenwart. Der Görlitzer Stecher Johannes
Wüsten, dessen Arbeiten weitaus am eindeutigsten um diese Erneuerung
bemüht sind, dürfte aber bald als Pionier einer entscheidenden Umorien-
tierung auf dem Gebiete der Graphik erkannt werden. Seine Blätter fesseln
zunächst technisch durch eine sonst längst verloren gegangene Sauberkeit
und Akkuratesse dichter, unverklext-durchsichtiger Strichlagen, deren feine
Parallelen und Netze modellierend auf das Einzelne in seiner Gestalt eingehen
und es nach seiner stofflichen Beschaffenheit deutlich zu charakterisieren
wissen. Bedeutung gewinnt diese Abkehr von aller in Bausch und Bogen
umschreibenden, formverwischenden und detailverschluckenden Zeichenweise
erst durch die Eindringlichkeit der Schilderung, der sie Zug um Zug dienen.
Wüstens Stiche packen samt und sonders durch ihren Gehalt an Mitteilung,
ob sie nun das Entsetzen einer Eisenbahnkatastrophe oder das Groteske einer
Wunderbegaffung ä la Konnersreuth offenbaren, die Unheimlichkeit übergroß
und botanisch genau aufgenommener Pilze oder die Tragikomödie eines
Menschengesichts. Sie präparieren den Schrecken oder Humor eines Vorfalls,
einer ungewöhnlichen Erscheinung mit tausend scharfen Linien wie mit eben-
sovielen Sezierschnitten heraus.
Das hier gezeigte Blatt gehört zu den beschaulicheren des Künstlers.
Seine Ironie, die sich zur geheimen Ähnlichkeit zwischen dem Angler in seiner
etwas dusseligen Schwermut und dem von ihm friedfertig gemeuchelten Fisch
zuspitzt, bleibt unbarmherzig genug. Dieser schleimige Naturfreund mit der
Plötzenschnute, dessen widerwärtig seelenruhige Hände das arme Opfer eines
blöden Geduldspiels so harmlos-grausam greifen, ist gottlob auch nur eine
Angelbeute des Schicksals; der Haken kommt ihm bereits als Kragenknopf
zum Halse heraus. Der verrutschte Schlipsknoten, der zerknüllte Kragen

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