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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Das Kunstgewerbe im Pariser Herbstsalon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0036

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Das Kunstgewerbe im Pariser Herbstsalon

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Kunst im weitesten Sinne geben, das nicht von den Salons
gepflegt würde. Im Grunde ist ja allerdings keine Ursache
einzusehen, warum Malerei und Skulptur allein vom Staate
protegiert werden sollten, und schließlich haben die Künstler
des Wortes oder der Melodie genau das nämliche Recht
auf Unterstützung von Seiten der Allgemeinheit wie die
Maler, Bildhauer, Baumeister usw.

Ob diese Vielseitigkeit den einzelnen Gebieten förder-
lich ist, wird die Zukunft ergeben, bei der gegenwärtigen
Ausstellung des Herbstsalons ist vorläufig festzustellen,
was schon in den anderen Pariser Ausstellungen der letzten
Jahre erkennbar war: die Hochflut des sogenannten »style
moderne« im Kunstgewerbe scheint glücklich vorüber zu
sein. Viel Gutes und Schönes hat sie ja, wenigstens in
Frankreich nicht gezeitigt. Frankreich, das in Malerei und
Skulptur immer noch auf der alten Höhe ist und an der Spitze
marschiert, ist in der Baukunst wie im Kunstgewerbe durch-
aus nicht die führende Nation. Nicht nur in England, son-
dern auch in Deutschland ist man den Parisern in dieser Be-
ziehung weit voran, und immer noch ist für die allerwei-
testen französischen Kreise nur das Haus und nur der
Hausrat schön und geschmackvoll, die in irgend einem
der geheiligten Stile gehalten sind, also Louis quinze,
Louis seize oder auch Empire. Weiter ist man hier noch
nicht gekommen, und von dem Biedermeierrausche, der
schon seit einigen Jahren Deutschland erfaßt hat, ist in
Frankreich annoch nichts zu spüren.

Was hier an neueren kunstgewerblichen Regungen be-
merklich ist, fußt in Japan und in England. Japan scheint
]a nun allerdings fast ausgespielt zu haben, und im Grunde
kann man sich nur freuen, daß die öde Nachahmung ja-
panischer Muster etwas nachgelassen hat. Nachden man
uns fast zwanzig Jahr lang in der französischen Keramik
fast nichts als Imitationen des japanischen Steinguts ge-
boten hat, besinnen sich jetzt einzelne Keramiker darauf,
daß auch in Frankreich selbst dereinst eine herrliche Ke-
ramik blühte, und daß man das Gute nicht in so weiter
Ferne zu suchen braucht, wo ganz in der Nähe, in Limoges,
in Rouen und fast überall auf dem platten Lande wunder-
schöne Vorbilder zu finden sind, die ihrer ganzen Natur
nach weit besser für Frankreich passen als die japanischen
Töpferarbeiten. Sehr bemerkenswert ist hier das Vorgehen
des Keramikers Andre Methey, der im Herbstsalon eine
reichhaltige Kollektion von Krügen, Vasen, Tellern, Tassen
und Schüsseln ausstellt, die teils an die alten Fayencen
von Moustiers, Rouen und Paris erinnern, teils ganz ein-
fach auf den Bauernfayencen fußen, die man heute noch
M allen Dörfern von Mittelfrankreich vorfindet. Und nach
der Ubersättigung mit japanisierenden Töpfereien wirken
diese Arbeiten wirklich sehr erfreulich und erfrischend.
Sie wirken gesunder und froher, lebendiger und kernhafter
a's die japanische Keramik. Diese scheut ängstlich jeden
lauten und frohen Ton, sie schwelgt in den feinsten und
zartesten Abstufungen, sie ist der Gipfel einer allzu ver-
einerten, allzu subtilen, ja man kann sagen, einer alternden,

en Kultur. Wie froh und gesund setzen daneben die

zosischen wie die deutschen Bauerntöpfer ihre bunten
Blumen auf den weißen oder gelben Grund. Man sieht
diesen Arbeiten an, daß ihre Schöpfer Spaß am Leben
haben, daß sie gesund, stark und froh sind, daß ein frisches,
unverdorbenes Blut in ihren Adern kreist, daß sie noch
nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sind. Und
nach dem langen Aufenthalte, den wir in der allzu delikaten,
a izu feinen, allzu laut- und leblosen japanischen Kunst-
atmosphäre genommen haben, atmen wir mit vollen Zügen
aiese neue frohe Luft, die uns mit heimischem Odem
umweht.

Methey begnügt sich nicht mit der Inspiration, die er

im Bauerngeschirr gefunden hat. Als Mitarbeiter hat er
eine ganze Phalanx moderner Künstler geworben, deren
jeder sein Teil Dekor beigesteuert hat. Derain und Maurice
Denis, Rouault und Vlaminck, Vallat und Laprade, Maillol
und Puy, ein Dutzend andere Maler und Bildhauer, die
uns aus dem Salon der Unabhängigen oder aus dem Herbst-
salon bekannt sind, haben die Krüge und Vasen, Schüsseln
und Kannen Metheys mit zum Teil äußerst ansprechenden
und geschmackvollen Malereien geschmückt. Es ist mehr
als wahrscheinlich, daß nach diesem Auftreten Metheys die
französische Keramik den neuen Pfad, der eigentlich der
alte und naheliegende ist, weiterverfolgen und aufhören
wird, sich in Nachahmungen japanischer Kunst zu erschöpfen,
die schließlich doch zu keinem gesunden Ziele führen.
Denn was hat diese neuere japanisierende Keramik im
Grunde erreicht? Uber den ersten französischen Kera-
miker, der sich an den Japanern begeisterte, über Jean
Carries ist sie nicht hinausgekommen, und Carries selbst
ist niemals über seine japanischen Vorbilder hinausge-
kommen. In seinen besten Stücken hat er sie erreicht,
übertroffen aber niemals. Was kann uns aber eine Kunst
helfen, deren Endziel die Nachahmung alter Muster ist,
die uns nicht über die damals schon erreichten Ziele hin-
aus zu neuen Eroberungen bringt? Das Vorgehen Metheys
ist also mit Freude zu begrüßen, und man kann nur
wünschen, daß es ihm gelinge, die alten Formeln mit
neuem Inhalt zu füllen, wie es bei einigen der im Herbst-
salon gezeigten Sachen bereits gelungen scheint.

Außer diesem Keramiker verdient ganz besondere Er-
wähnung die Ausstellung von Blanche Ory-Robin. Diese
Dame schafft ganz entzückende Wandteppiche und sonstige
Stickereien, deren Hauptbestandteile gewöhnliche graue
oder weiße Leinwand und noch gewöhlichere Bindfäden
sind. Mit diesem Material, dem sich alter und neuer
Brokatstoff, Seide, Gold- und Silberfäden gesellen, weiß sie
die geschmackvollsten und aumutigsten Harmonien zu
erzielen. Bald sind es Blumengewinde, bald an arabische
Ornamente erinnernde polygonische Figuren, bald ganze
Landschaften oder auch große Figurenbilder, welche sie
mit diesem Gewebe bildet. Der Grund ist immer die ge-
wöhnliche starke Leinwand, die Konturen und sehr häufig
auch gewisse Nuancierungen werden von den bald einzeln
aufgenähten, bald in breiten Bändern zusammengelegten
Hanfstricken gebildet, Seide, Silber, Gold oder auch farbige
Wollfäden beleben das feine Grau dieses Materials, und
der Gesamteindruck ist überraschend vornehm und delikat.

Wenig ist von den im Herbstsalon vertretenen Kunst-
tischlern zu sagen. Am schönsten, zweckmäßigsten, ein-
fachsten und stilvollsten wirken die Möbel von Georges
Nowak, die wirklich Gebrauchsmöbel sind und sich dabei
durch ungesuchte Schönheit der Form auszeichnen. Auch
Mathieu Gallerey hat ein gutes, brauchbares und schönes
Eßzimmer ausgestellt, während die von bretonischer
Bauernkunst und ganz besonders von Gauguin beeinflußten
geschnitzten und bunt bemalten Möbel von Ernest de Cha-
maillard wirklich nicht schön oder geschmackvoll und oben-
drein nicht einmal praktisch und brauchbar sind. Sehr
hübsch sind auch die von Sauvage und Sarazin entworfenen
Schulpulte, aber ich fürchte sehr, dieses saubere helle Holz
und dieser mausgraue, wunderschöne Pultüberzug wird
den Tintenklexen der Schuljugend nicht lange standhalten.
Es ist sehr löblich, die Schulzimmer so freundlich und ge-
schmackvoll wie nur irgend möglich gestalten zu wollen,
aber die Hauptsache darf man nie vergessen. Diese Haupt-
sache aber sind die Schüler. Hätten meine Kameraden
und ich auf so zierlichen und hübschen hellgrauen Bänken
gesessen, in acht Tagen wären sie aufs abscheulichste ver-
schmiert und sogar zerschnitten gewesen, und der als
 
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