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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Die Ausstellung altenglischer Kunst in der Berliner Akademie der Künste
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St. Petersburger Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0134

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St. Petersburger Brief

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Lawrence überschreibt sich das Kapitel der eng-
lischen Porträtmalerei, in dem von den Gefahren einer
zu großen Geschicklichkeit und dadurch veranlaßter
Überhäufung mit Aufträgen oft gleichgültigster Art
zu lesen ist. Man wird aber zugestehen müssen, daß
hier wenigstens Lawrence der Virtuose hinter dem
Künstler zurücktritt. Es wäre jedenfalls sehr billig
und pedantisch, einen Virtuosen, den Künstler der
wahrhaft hinreißend gutgemalten Miß Farren zu schelten
(Bes. P. Morgan). Ein Gedicht in Weiß, dem Blau des
Himmels und mattem Grün der Landschaft! Und
wie ist dieses Weiß der abendlichen Toilette in seiner
Wirkung gehoben durch das pelzige Graubraun der
Boa, des Muffs mit dem überraschenden Blau der
Schleife, und das Rostbraun der Handschuhe! Un-
möglich, den Liebreiz dieses bezaubernden Wesens,
das Elizabeth Farren gewesen sein muß, erschöpfen-
der mit den Mitteln einer immerhin sparsamen Palette
auszudeuten, als es hier geschehen ist.

Der Raum verbietet, auf andere Werke des Viel-
gescholtenen einzugehen, den Kanzler Metternich, die
schon etwas geleckte Darstellung der kleinen Countess
of Jersey (»Childhood's innocence«), das Repräsen-
tationsbild des Viscount Castlereagh. Die Vertretung
dieses letzten der englischen Großmeister ist so ge-
schickt, daß sie als eine der Ruhmestaten der Aus-
stellungsleitung hervorzuheben ist.

Eine kleine Gruppe von Landschaften, an der
Spitze die beiden schon erwähnten Gainsboroughs
und ein kleiner Wilson, vertritt eine kunstgeschichtlich
viel bedeutendere Seite der englischen Kunst. Haupt-
werke Constables wie »The leaping horse« aus der
Kgl. Akademie in London und »The young Waltonians«,
die Lord Swaythling hergeliehen hat, sind in Berlin
noch nicht gezeigt worden. Ein kleineres Bild (Bes. Dr.
von Schwabach), weniger branstig, duftiger und leichter
gemalt, entzückt durch die Wahrheit in der Schilderung
des Atmosphärischen und frische grüne Töne. Eine
vortreffliche Landschaft mit Schafherde von David
Cox stammt aus dem Besitze des Geheimrats von
Boettinger in Elberfeld. Und sogar eine der sonnigen
Ideallandschaften Turners hat sich eingefunden, die
kaum vorher bekannt war. Der Rittergutsbesitzer
von Goldammer in Plausdorf, Oberhessen, hat sie
eingesandt.

Vielleicht wäre es angebracht gewesen, wenigstens
als Würze einiges von Hogarth, Wilkie und Morland
zu zeigen. Das Bild englischer Kunst, das in Berlin
zustande gekommen ist, erscheint — man muß dies
bei aller aufrichtigen Bewunderung zugestehen —
ein wenig zu einseitig-höfisch. Ein Vergleich mit
der zeitgenössischen Literatur entblößt die kultur-
gesättigte Kunst der Reynolds, Gainsborough und ihrer
Nachfolger von vielen Vorzügen, die als national-
englische gelten. Nur die Empfindsamkeit findet
man hier wie dort. Diese Kunst, die in so vielen
geborgten Kostümen ging, ehe Reynolds ihr das
Kleid zurecht schnitt, scheint niemals jung gewesen
zu sein. Es fehlt der göttliche Übermut des Prinzen
Heinz: »Nun gut, einmal in meinem Leben will ich
einen dummen Streich machen!« Sie besteigt könig-

lich, ohne Revolution, den Thron und lächelt nur
den Glücklichen und Reichen. Die Kunst einer einzigen
Kaste. Und darum wird man es verstehen, wenn
der Referent jenen einflußreichen Berliner Kunst-
kritikern widersprechen möchte, die hier das Heil
für die neue deutsche Porträtkunst sehen. Alle guten
Geister deutscher Kunst mögen unsere Maler vor der
Nachahmung dieser aus ganz anderen Vorbedingungen
entstandenen Kunstübung bewahren! c.

ST. PETERSBURGER BRIEF
Ganz außerhalb der Saison, im August, fand ein
längst erwartetes Ereignis statt: die Einweihung der
Kirche Zur Auferstehung Christi, deutsch meist Sühne-
kirche genannt, die an der Stätte errichtet worden ist,
wo Kaiser Alexander II. von der nihilistischen Bombe
zu Tode getroffen wurde. Der Bau wurde gleich
nach dem Tode des großen Monarchen beschlossen,
doch konnte der Grundstein erst im Oktober 1883
gelegt werden, so daß die Ausführung rund 24 Jahre
gedauert hat. Die Baukosten haben nach den kursie-
renden Nachrichten über 47a Millionen Rubel betragen,
was eher zu niedrig als zu hoch gegriffen erscheint.
Dauer und Kosten erklären sich aus der ganz einzig-
artigen Ausstattung des Bauwerkes, für die ausschließ-'
lieh Email und Mosaik neben plastischen Stücken
aus edlen uralischen Gesteinen verwendet wurde.
So besitzt Petersburg ein neues architektonisches
Wahrzeichen, dessen materieller Wert über allem
Zweifel steht, über dessen künstlerischen Charakter aber
desto größere Meinungsverschiedenheiten herrschen und
der dazwischen dem Architekten Prof. Alfred Parland
heftige Angriffe zugezogen hat. An den Anblick des
Außenbaues hat man sich im Laufe der mehr als zehn
Jahre gewöhnen können, wo er bereits sichtbar war.
Der Eindruck schreiender Buntheit hat da nicht ver-
wunden werden können. Parland hatte für das Äußere
einen Moskauer Typus des 16. Jahrhunderts zum Muster
gewählt, dessen Extrem der Wassili-Blashennyi in
Moskau ist, der im Westen noch immer mit Unrecht
als Paradigma russischer Kirchenbaukunst gilt (selbst
noch bei Woermann, Bd. II, S. 653). Die Kirche trägt
auf dem Hauptkörper fünf Kuppeln, zu denen die
Kuppel des Glockenturmes und die kleine Kuppel
über der Apsis, dann noch die pyramidalen Helme
über den beiden Eingängen kommen. Von diesen neun
Krönungen sind die beiden Helme und die vier
zwiebeiförmigen Nebenkuppeln des Hauptkörpers mit
schachbrettartigen Mustern in grünem, blauem, gelbem
und weißem Email bedeckt, ebenso der Knauf der
spitzen Hauptkuppel; die Kuppel des Glockenturmes
und die kleine Apsiskuppel sind vergoldet, während
die Hauptkuppel selbst mit Mosaik auf hellblauem
Fond bedeckt ist. Die Verbindung dieser grellen Poly-
phonie mit den zahlreichen Mosaiken der Fassaden,
die teils bildmäßig, teils ornamental gedacht sind,
ergibt allerdings ein augenverwirrendes Bild von
Farbenflecken, das sich nicht einmal aus größerer
Entfernung zu einer Einheit zusammenschließt. Die
Nord- und die Südfassade, in Ziegelverblendung mit
heller Einfassung ausgeführt, soweit nicht Mosaik die
 
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