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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Graul, Richard: Moderne Galeriefragen: aus Anlass einer Veröffentlichung über das Leipziger Museum der Bildenden Künste
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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0110

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l Q7 Pariser Brief ig8

mehr ist der überzeugte Anhänger des Allerneuesten
und »Nurneuartigen« der Gefahr ausgesetzt, im Ge-
schmack auszugleiten oder in der Qualität daneben
zu greifen! Allein bei Erwerbungen moderner Kunst
sind vielleicht solche Mißgriffe noch am entschuld-
barsten, denn wer fühlte sich im Treiben gegen-
wärtiger Kunst frei von dem Einfluß modischer Strö-
mungen, subjektiver Stimmungen, nervöser Launen?
Der müßte ja ganz temperamentlos oder künstlerisch
stumpf sein, der immer recht zu haben glaubte! Wie
schwer ist es, im Moment der Wahl das Rechte zu
treffen — und wie viel schwerer ist es besonders,
wenn für die Wahl gar noch Motive der Nächsten-
liebe, der Mildherzigkeit geltend gemacht werden.

Um nun einesteils der Überfüllung unserer mo-
dernen Gemäldegalerien mit Werken von zweifelhafter
Meisterschaft zu begegnen und um andernteils unter
den um den Vorrang streitenden Richtungen gegen-
wärtiger Kunst besser unterscheiden zu lernen, welche
Werte die beständigeren und für die Kunstentwickelung
charakteristischen sind, ist vielleicht doch ein prak-
tischer Ausweg zu finden.

Das Schreibersche Prachtwerk mag den Weg dazu
weisen! Wie darin eine Auswahl getroffen werden
mußte, um die Galerie im Bilde zu repräsentieren,
so könnte man versuchen, im Museum selbst, zunächst
die von den Kundigen anerkannten Meisterwerke bis
zum Ende des 19. Jahrhunderts nach bestimmten
Gruppen auszuwählen und so sorgfältig im Aus-
balancieren der gegenseitigen Stimmungswerte auf-
zustellen, daß das einzelne Werk mit den anderen gut
zur Wirkung kommt. Neben der so ganz allmählich
entstehenden repräsentativen Galerie, die hohen An-
forderungen genügen muß, würde man nach Aus-
scheidung des Entbehrlichen eine zweite nach ähn-
lichen Grundsätzen einzurichtende Raumfolge mit
allen Neuerwerbungen und Geschenken einrichten,
in der das Ringen der lebendigen künstlerischen
Kräfte unserer Zeit zu übersichtlichem Ausdruck
käme. Nach mindestens zehn Jahren erst würden
dann unter den auf Probezeit und im Kampf mit-
einander vereinigten Kunstwerken diejenigen aus-
zuwählen sein, die ein reiferes, bewährteres Urteil, als
es das im Fieber der Erwerbung gebildete sein kann,
für wert hält, in die entwickelungsgeschichtliche oder
meinethalben auch repräsentative Galerie von Meister-
werken neuzeitiger Kunst aufgenommen zu werden.

So könnte ohne Verminderung der Mittel zum
Ankaufe lebender Kunst, vor allem aber ohne Schädi-
gung des Gesamteindruckes eine gewisse planmäßige
Erweiterung der modernen Sammlung stattfinden. In
unserer schnellebigen Zeit bedeuten zehn Jahre der
Prüfung schon etwas. Die Zeitspanne ist lang genug,
um Irrtümer, die etwa im ersten Aufwallen der Be-
geisterung gemacht wurden, zu verbessern. All das,
was unsere Entscheidungen trüben kann: der Tages-
geschmack, das Interesse der Beteiligten, fiele bei der
allmählichen Auslese weg, und unser Urteil gewänne
an Ruhe und Klarheit. Die moderne Galerie aber
würde dem Ideal eines der künstlerischen Kultur und
Geschmacksbildung gewidmeten Institutes um einen

guten Schritt näher kommen, denn sie enthielte in
ihrer Auslese einen besseren Maßstab für die Höhe
und den Wert der Kunstwerke als ihn das gedrängte
Nebeneinander der jährlichen Ankäufe und zufälligen
Geschenke mit dem älteren Besitz zu geben vermag.
Zu erwägen wäre vielleicht noch, ob nicht die Kunst
der Einheimischen, wie das in Frankfurt am Main
oder in Hamburg geschehen ist, am besten für sich
ausgestellt werden könnte.

Das Verfahren einer revidierten Auslese, das wir
vorschlagen, ist keineswegs neu, es hat sich ähnlich,
nur mit noch drakonischeren Bestimmungen in Frank-
reich bewährt. Die wachsenden Schätze unserer
Museen und noch mehr die höheren Ansprüche, die
wir an sie als notwendig gemeinnützige Bildungs-
stätten stellen müssen, zwingen zum Nachdenken, wie
der unleidlichen Überfüllung und stimmungslosen
Ordnung zu wehren und wie das Niveau der Samm-
lungen durch verständige Auslesen im allgemeinen
zu heben ist.

Es braucht kaum betont zu werden, daß diese
Fragen nicht spezifisch Leipziger Sorgen sind. Wo-
hin wir blicken, nach Dresden oder Köln, nach Stutt-
gart oder Breslau, überall sehen wir ähnliche, der
Verbesserung würdige Zustände. Aber wir erkennen
es dankbar an, daß uns die schöne Publikation Theodor
Schreibers zum Hinweis auf diese musealen Ver-
hältnisse anregen konnte.

RICHARD GRAUL.

PARISER BRIEF

Bei Georges Petit, der seine Ausstellungsräume
umgebaut und erweitert hat, sind zugleich zwei
»Salons« untergebracht: in dem alten großen Saal die
Societe internationale mit ihrer 25. Jahresausstellung,
in den neuen kleineren Sälen eine neue Vereinigung,
die sich die Comedie humaine nennt, und der die
hervorragendsten humoristischen und satirischen Maler,
Zeichner und Bildhauer von Paris angehören. Diese
letztere Veranstaltung ist also etwas ähnliches wie
der »Salon du Rire«, der vor einem Jahre im Palais de
Glace eine so große Anziehungskraft auf das Publikum
ausübte, und der nachher gar auf Reisen ging und
in Berlin und anderen Städten des Auslandes seinen
Besuch machte. Aber die Comedie humaine ist besser,
weil kleiner. Der Salon du Rire wurde von einem
illustrierten Witzblatte veranstaltet, und da es wie
so ziemlich alle Blätter mehr mittelmäßige als aus-
gezeichnete Mitarbeiter hat, war der Gesamteindruck
der Ausstellung ziemlich mittelmäßig. In der
Comedie humaine aber haben sich die besten
humoristischen Künstler zusammengetan und wachen
selbst darüber, daß nur würdige Kameraden auf-
genommen werden. Wir finden hier also den un-
vergleichlichen Zeichner und hinterlistigen Giftmichel
Forain mit einer ganzen Reihe gemalter und gezeich-
neter Satiren, Raffaelli mit mehreren Darstellungen aus
dem Kleinbürgerleben, Guillaume, Wely und einige
andere, deren Humor allerdings von sehr unter-
geordneter Art ist, die aber vielleicht gerade deshalb
sich beim Publikum starker Beliebtheit erfreuen, Willette,
 
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