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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Haack, Friedrich: Zu Zeitblom: das Sigmaringer Marienleben und die Stuttgarter Propheten-Brustbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0137

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251

Zu Zeitblom

252

ZU ZEITBLOM
DAS SIGMARINGER MARIENLEBEN UND DIE STUTT-
GARTER PROPHETEN-BRUSTBILDER
Von Prof. Dr. Friedrich Haack-Erlanoen
Im Fürstlich Hohenzollernschen Museum zu Sig-
maringen befinden sich acht Tafeln mit Darstellungen
aus dem Leben Maria, die vorher als Einzelbilder in
der Schloßkapelle zu Krauchenwies aufgehängt waren.
Da man auf ihren Rückseiten Spuren früherer Be-
malung entdeckte und mit Recht daraus folgerte, daß
die Tafeln ursprünglich zu einem großen Altarwerk
gehört haben, vereinigte sie im Jahre 1857 Prof.
Andreas Müller-Düsseldorf, der sie restauriert hatte,
zu je vieren in zwei großen Rahmen, so daß wir es
also heute gleichsam mit zwei großen Altarflügeln zu
tun haben. Wir gewahren links oben die Begegnung
unter der Goldenen Pforte und die Geburt Maria,
unten den Tempelgang und die Vermählung Maria,
rechts oben die Verkündigung und die Heimsuchung,
unten die Anbetung des Kindes und den Tod Maria.
Diese Zusammenordnung ist aber falsch. Der auf-
merksame Beschauer empfindet vor diesem neu zu-
sammengestellten Tafelwerk eine Trübung seines ästhe-
tischen Genusses, der durch mehrfachen starken
Mißklang innerhalb der Gesamtanordnung hervorge-
rufen wird. Am ärgsten ist es, daß die kleine Maria
des Tempelganges (ganz links unten) aus der Ge-
samtkomposition gleichsam hinauszulaufen scheint! —
Wir können nun aber vor den großen vielgegliederten
Altarwerken, die ein gütiges Geschick bis auf den
• heutigen Tag in der ursprünglichen Zusammensetzung
beieinander gelassen hat, z. B. dem Tiefenbronner
Altar von Hans Schüchlin oder dem Blaubeurer Hoch-
altar, die Beobachtung machen, daß die altdeutschen
Meister bei der Linienführung eines jeden einzelnen
Bildes auf sämtliche andere Rücksicht genommen, im
besonderen zwischen Rechts- und Linkskompositionen
scharf geschieden haben. Hier aber herrscht ein
wildes Durcheinander! — Es liegt dies daran, daß
die beiden Bilder unten links und oben rechts mit-
einander vertauscht sind. Die richtige Reihenfolge
wäre: oben links Begegnung unter der Goldenen
Pforte und Geburt Mariä, rechts Tempelgang und
Vermählung, unten links Verkündigung und Heim-
suchung, rechts Anbetung des Kindes und Tod
Mariä. Auf diese Weise sind alle Linkskomposi-
tionen auf die linke, alle Rechtskompositionen auf die
rechte Seite gebracht. Ja, noch mehr, es befinden
sich dann sogar die Bilder je nach dem Grade, in
dem sie den Zug nach rechts, bezw. nach links stärker
oder schwächer betonen, unmittelbar übereinander.
So ist die Rechtsseitigkeit am entschiedensten beim
Tempelgang und bei der Anbetung des Kindes her-
vorgehoben, also bei den beiden inneren Stücken
jener Seite, während die zwei Außenbilder Vermählung
und Tod eine Beruhigung in dieser Hinsicht, einen
sanften kompositionellen Ausklang erkennen lassen.
Ebenso ist auch der Grad der Bewegtheit auf je zwei
übereinander befindlichen Bildern annähernd dergleiche.
Die Geschichte fängt ganz links mit einer für Zeit-
blom geradezu stürmischen Bewegung an: Goldene

Pforte und Verkündigung, beruhigt sich auf den Innen-
tafeln beider Seiten und klingt ganz leis mit der Ver-
mählung und dem Tod Mariä rechts aus. Ich bin
überzeugt, daß ein kompositionell so außergewöhn-
lich feinfühliger Künstler wie Zeitblom all dies vor-
empfunden hat, ehe er seine Bilder auf den Kreide-
grund skizzierte.

Bei der von mir vorgeschlagenen Änderung ver-
lieren sich auch zwei Eigentümlichkeiten in der Model-
lierung der menschlichen Gestalten, die uns bei der
gegenwärtigen Anordnung befremden. Die beiden
Frauengestalten der Heimsuchung erscheinen jetzt
flächig und scheibenhaft. Das liegt aber nur daran,
daß sie zu hoch angebracht sind. Andererseits schrumpft
der Hohepriester der Vermählung, der sich gegen-
wärtig in der unteren Zeile befindet, zu stark in sich
zusammen. Das kommt aber bloß daher, daß er auf
starke Untersicht berechnet ist. Man kann beides
nachprüfen und wird es dann für richtig erkennen,
wenn man zu jenem Bilde auf der Leiter hinaufsteigt,
sich vor diesem auf den Erdboden niederläßt.

Der Anordnungsirrtum des Restaurators Prof.
Müller erklärt sich offenbar daraus, daß er gemeint
hat, man müßte vor altdeutschen Altarwerken erst den
linken Flügel zu Ende lesen und dann den rechten
beginnen, während sie in Wahrheit erst oben, dann
unten zu lesen sind. Den Beweis dafür liefern wieder-
um der Tiefenbronner Altar Schüchlins und der Blau-
beurer Hochaltar.

Die Richtigkeit der vorgeschlagenen Anordnung
unserer Bilder wird durch die Prüfung ihrer Rück-
seiten bestätigt. Gegenwärtig herrscht dort ein wüstes
Durcheinander! — So sitzt z. B. der Heiligenschein
einer Schnitzfigur, die ihren Verhältnissen nach die
ganze Höhe des ehemaligen Altarwerkes eingenommen
hat, auf der Rückseite eines Bildes der unteren Zeile,
während sich der für den Unterkörper einer Holzfigur
ausgesparte Platz oben befindet. Bei der vorgeschlagenen
Änderung dagegen erhalten wir zu äußerst rechts und
links über die ganze Höhe des Altarwerkes hinlaufend
den ausgesparten Raum für je eine stehende weibliche
Heilige. Innen (nach dem Altarschrein zu) in Malerei
oben links Ölberg, rechts Kreuztragung, unten links
Christus am Kreuz, rechts Beweinung. Das stimmt
also alles gut zusammen.

Die vier Passionsbilder sind entsetzlich zerstört,
immerhin lassen die traurigen Überreste genau er-
kennen, daß jene vier eben genannten Gegenstände
dargestellt waren. An einzelnen wenigen wohlerhaltenen
Partien kann man auch deutlich wahrnehmen, daß
die künstlerische Ausführung eine vorzügliche gewesen
sein muß. Zeitbloms Handschrift ist unverkennbar.
Es ist ja auch an und für sich klar, daß Zeitblom,
wenn schon die Malereien an den Außenseiten der
Altarflügel von ihm herrühren, erst recht die Innen-
seiten selbst gemalt hat. Die Passionsbilder aber
müssen die Innenflügel des, wie man annehmen darf,
Schnitzaltars geschmückt haben, weil sie mit Schnitzereien
untermischt sind. Endlich weist auch der Hochaltar
in Tiefenbronn von Hans Schüchlin außen das Marien-
leben, innen die Passion auf. — Es ist nun außer-
 
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