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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Maas, Max: Die Sammlung Arndt in der Münchener Glyptothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0124

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 14. 31. Januar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaffen und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein 8t Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DIE SAMMLUNG ARNDT IN DER MÜNCHENER
GLYPTOTHEK

Während München in der letzten Zeit gegenüber
Berlin, Frankfurt und anderen deutschen Städten etwas
zurückstand, wo es sich um großartige Schenkungen
für Kunstzwecke handelte — wenn wir von der
Stiftung der Schmedererschen Krippensammlung ab-
sehen — sind die Sammlungen der bayerischen
Metropole durch eine jetzt publik gewordene Stiftung,
von der man in interessierten Kreisen bereits seit
einigen Monaten weiß, in einer großartigen und ganz
ungewöhnlichen Weise bereichert worden. Dem
Eifer des verstorbenen Münchener Bode, dem un-
ersetzlichen Professor Ad. Furtwängler, war es noch
gelungen, einen unbekannt bleiben wollenden Mäcen
dahin zu bringen, daß er die bekannte Sammlung
des Münchener Archäologen Dr. Paul Arndt ange-
kauft und den Staatssammlungen als Geschenk über-
geben hat. Diese mit ebensoviel Geschmack wie
Gelehrsamkeit vereinigte Sammlung von Werken
griechischer aber auch italischer Kleinkunst — Terra-
kotten, Vasen, Bronzen, Broschen, Goldschmuck, Glas
— ist für das Antiquarium bestimmt, dessen Lücken
sie in einer Weise ausfüllt, als hätte Arndt seit mehr
als zehn Jahren mit Hinblick darauf gesammelt,
daß seine Schätze dereinst in das Antiquarium auf-
genommen werden würden. Da aber das Antiquarium
vorerst keinen Platz mehr in seinen provisorischen
Räumen hat, die wohl auch in absehbarer Zeit noch
Provisorium bleiben werden, so birgt der assyrische
Saal der Glyptothek einstweilen in bereits wohl ge-
ordneter Aufstellung die Sammlung Arndt; und dort
wird nunmehr diese köstliche Bereicherung der
Münchener Antikensammlungen für den allgemeinen
Besuch zugänglich werden.

Arndt hat seine Marmorwerke, Gemmen und seine
griechischen Vasenschalen wie Fragmente aretinischer
Gefäße von dem Verkauf ausgeschlossen; indem er
dem ungenannten Mäcen seine anderen reichen Samm-
lungen für einen Preis überließ, der von jenseits des
Ozeans gewiß überboten worden wäre, hat der Münche-
ner Gelehrte in wahrhaft patriotischer Weise gehandelt.
Wenn erst einmal die wissenschaftliche und ausführ-
liche Publikation über die Sammlung Arndt erschienen
sein wird, die wir wünschen und hoffen, wird man
erst erkennen, wie erstklassig durchweg die von ihm

vereinigten Antiquitäten sind, eine Sammlung, die
mit den allerbekanntesten in einem Atem genannt
werden kann, was Schönheit einzelner Stücke,
Seltenheit und vor allem Echtheit betrifft. Gar viele
Stücke stammen denn auch aus früheren weltbekannten
Sammlungen. Noch im März 1907 schrieb Furt-
wängler in seinem neuen Antiquariumskatalog: »Leider
besitzt unsere Sammlung fast nichts von Tanagrafiguren,
da man in der Zeit, wo sie in Menge gefunden
wurden und leicht zu haben waren, die Gelegenheit
zu Erwerbungen versäumt hat«. Es ist jetzt anders;
mit der Sammlung Arndt sind auch eine Reihe dieser
köstlichen Figuren in den bayerischen Staatsbesitz
gekommen, die in so reizender Weise das tägliche
Leben des Griechenvolkes schildern und die, obwohl
die schlichtesten, billigsten, volkstümlichsten Kunst-
erzeugnisse der Griechen, doch imstande sind, Lücken
in der Kunstgeschichte auszufüllen, wo die Groß-
plastik fehlt.

Unter den Hunderten von figürlichen Terrakotten
mit teilweise kräftigen Farbresten besitzt die Sammlung
Arndt interessante und eigenartige Stücke von der
mykenischen bis in die römische Zeit. Nennen wir
I unter den hervorragendsten eine mykenische thronende
Götterfigur, einen höchst amüsanten, archaischen
sitzenden Silen, ganz nach ägyptischem Schema, einen
Pflüger an der Arbeit mit dem rinderbespannten
Pflug, einen auf zwei Pferden stehenden Mann, zwei
Mädchen wie die sogenannten Akropolistanten. Von
ungewöhnlichem Interesse für die Geschichte der Tra-
gödie wie der religiösen Kulte ist der carrus navalis,
der Schiffskarren, auf dem Dionysos mit der Basilinna
thront, wie sie am zwölften Tage des Anthesterien-
festes im karnevalistischen (carrus navalis, bestrittene
Etymologie) Umzüge herumgefahren wurden. Auch
zahlreiche Schauspielerfigürchen sind für die Ge-
schichte des Dramas wichtig. Eine archaische Meduse
erinnert an den Typus der Selinunter Metopen.
Aus den späteren Zeiten der figürlichen Töpfereien,
wo Tanagra und das noch exquisiter arbeitende
Myrina ihre reizenden Erzeugnisse schufen, finden
wir unter vielen Dutzenden einen herrlichen sitzen-
den Jüngling in der Onlamys, eine Hermaphroditen-
szene ä la Joseph und Potiphar, eine Tänzerin
im langen Gewände in unvergleichlich graziöser
Stellung; eine andere steigt gerade auf einen kleinen
 
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