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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Liebermann, Max: Walter Leistikow: Rede an seinem Sarg
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0277

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531

Nekrologe

532

haben für die Darstellung der melancholischen Reize
der Umgegend Berlins. Die Seen des Grunewalds
oder an der Oberspree sehen wir mit seinen Augen;
er hat uns ihre Schönheiten sehen gelehrt. Nicht nur
die wenigen Bevorzugten, denen es vergönnt ist, sich
mit Leistikows Bildern zu umgeben: wer von der
Woche harter Arbeit und schwerer Mühe Sonntags
vor den Toren Berlins Erholung sucht, sieht Leisti-
kows. — Ein Künstler, dem gelungen, daß wir die
Natur mit seinen Augen sehen, hat sich ausgelebt.
Er hat sein Ideal erreicht, uns zu überzeugen.

Deshalb dürfen wir nicht klagen, daß er dahin
gegangen; aber wir dürfen klagen, daß er uns ent-
rissen: unser Leistikow in seiner sieghaften Jugend-
frische, in seiner bezaubernden Liebenswürdigkeit.

Klugheit und Gemüt paarten sich in ihm und
bewirkten das seltene Phänomen, daß er nur Freunde
hatte: was um so wundersamer, als er nicht etwa ein
Mann der geschmeidigen Höflichkeit war, sondern ein
Mann, der rücksichtslos sagte, was er dachte, der auch
nicht um Haaresbreite von seiner Überzeugung ab-
wich, keinem zuliebe, aber auch keinem zuleide. Aber
die Güte und die Wärme seines Herzens nahmen
seinem oft scharf und rücksichtslos ausgesprochenen
Worte den Stachel der Beleidigung. Und auch der
Gegner beugte sich seiner ehrlichen Überzeugung.

In unserer Zeit des Strebertums und des krassen
Egoismus verdient es besonders hervorgehoben zu
werden, daß Leistikow aus persönlichem Vorteil oder
zur Befriedigung seiner Eitelkeit auch nie den klein-
sten Schritt abwich von der Bahn, die er als die
richtige erkannt hatte. Er widerstand — doppelt
schön bei einem kranken Manne, der ganz allein auf
sich angewiesen, für sich und die Seinen zu sorgen
hatte — allen Versuchungen auf pekuniären Gewinn
oder auf äußere Ehren; in seiner Kunst wie in sei-
nem Leben ließ er sich von keinem Menschen, auch
von dem höchststehenden nicht, Gesetze vorschreiben:
das einzige Gesetz war ihm sein Gewissen.

In den zehn Jahren, die ich Schulter an Schulter
mit ihm im Vorstande der Berliner Sezession und
für die Berliner Sezession gekämpft, habe ich die
Lauterkeit seines Charakters bewundern gelernt. Er
lebte des Glaubens, daß Recht auch Recht bleiben
müsse, und kein Mißerfolg, keine hämische An-
feindung, keine scheinbar unüberwindliche Schwierig-
keit konnten ihn in diesem schönen naiven Kindlich-
keitsglauben erschüttern.

Leistikow war nicht nur der Vater der Berliner
Sezession: er war und blieb ihre treibende Kraft.
Lauter und vernehmlicher als alles, was ich für die
Vornehmheit seiner Gesinnung, für seinen uneigen-
nützigen Charakter sagen könnte, spricht für Leisti-
kows Wesenheit die Gründung der Berliner Sezession,
die ohne seinen jugendlichen Idealismus undenkbar
ist. Dieser immer seltener werdende Idealismus war
der Grundzug seines Charakters, und er blieb ihm
treu und fest bis zu seinem letzten Atemzuge.

Noch vor kaum sechs Wochen, in der letzten
Vorstandssitzung, der er beiwohnen sollte, erglühte
er in edler Begeisterung für die Jugend, und mit vor

Zorn bebender Stimme sprach der sieche Meister für
das unbeschränkte Recht der Jugend, sich auszuleben,
und für die Pflicht der Berliner Sezession, sie vor
akademischen Vergewaltigungsversuchen zu schützen.

Und der todkranke Mann erschien uns wie ein
Ritter Georg.

Er hinterläßt uns den blanken und fleckenlosen
Schild seiner Überzeugung als heiligstes Vermächtnis.

Wenn je das Wort von dem unersetzlichen Ver-
lust eines Menschen zur Wahrheit geworden, so hier:
seine Stelle wird verwaist bleiben. Seiner Künstler-
schaft verdankt er die Autorität, die er unter seinen
Kollegen genoß, aber seinem heldenhaften Charakter,
seiner wahren Güte verdankte er die Liebe und Ver-
ehrung, mit der wir ihm anhingen.

Ideal eines aufrechten Mannes! Edel, hilfreich
und gut: die Fackel deines Genius leuchte uns in die
dunkle Zukunft, die uns ohne dich freud- und hoff-
nungslos erscheint. Aber der herben Träne, die
unserem Auge entquillt, geselle sich die Freudenträne
über den seltenen Mann, den wir unsren Freund
nennen durften. »Er war unser.«

Wie ein jugendlicher Held, als der er gelebt und
gewirkt, ist er gestorben. Von der Stelle aus, wo er
gekämpft und gesiegt, wollen wir ihn zur letzten
Ruhestätte begleiten. Er ist gestorben wie ein Held
in der Schlacht; der Verfall des Alters blieb ihm, der
so vieles gelitten, erspart, und das Los, welches
Goethe seinem Peliden gönnte, ist ihm zuteil ge-
worden :

»— — Der Jüngling fallend erregt unendliche

Sehnsucht

Allen Künftigen auf, und jedem stirbt er aufs neue,
Der die rühmliche Tat mit rühmlichen Taten ge-
krönt wünscht.«

NEKROLOGE
Zu Walter Leistikows Tode. Leistikow verschied
am Abend des 25. Juli in einem Sanatorium im Grunewald.
Dorthin war er vier Wochen vorher gebracht worden, als
in dem schleichenden organischen Leiden, das an ihm seit
etwa vier Jahren zehrte, eine plötzliche verderbliche
Änderung vorgegangen war. Er ist nur 42 Jahre alt ge-
worden. Am 25. Oktober 1865 war Leistikow in Bromberg
geboren. In den achtziger Jahren kam er nach Berlin und
ward Schüler von Hans Gude, dessen malerischer Auf-
fassung und dessen Motiven er sich auch zunächst anschloß;
die tonschöne holländische Dorflandschaft in der Dresdener
Galerie ist sein wichtigstes Stück aus dieser Zeit. 188g
verließ er Gudes Atelier und wirkte von 1890—93 als
Lehrer an der Berliner Kunstschule. In dieses Jahr fällt
auch sein intimer Verkehr mit dem damaligen jüngsten
Deutschland: Halbe, Wille, Holz, Bölsche, Hauptmann, die
beiden Harts u. a. Der literarische Verkehr regte ihn an,
gelegentlich selbst zur Feder zu greifen, und so bringen
die damaligen Jahrgänge der »Freien Bühne« manchen
Essai von ihm. 1896 erschien sogar ein Roman von
Leistikow »Auf der Schwelle«. Geschildert wird darin das
Seelenleben eines schriftstellerisch begabten, aus kleinen
pietätvollen Verhältnissen in die Großstadt übergesiedelten
jungen Mannes, der in den Strudel der literarischen Epoche
gerät, zunächst aber als Photograph sein Brot zu erwerben
sucht. Rausch und tiefste Ernüchterung, flammende Be-
geisterung, Weltschmerz, Abscheu vor sich selbst und
 
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