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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Michel, Wilhelm: Münchener Winter-Sezession
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 16. 21. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

MÜNCHENER WINTER-SEZESSION
Albert v. Keller, Charles Tooby, Philipp Klein —
in drei Kollektionen ein sehr reiches Programm,
künstlerisch wie auch menschlich hochinteressant.
Rüstiges Greisenalter und frühverwelkte Jugend, welt-
männische Eleganz und deutsche Schwerblütigkeit,
ruhmvolle Vergangenheit neben dem Ringen der Gegen-
wart — das liefert ein reichbelebtes Bild, das den
Reiz einer Massenausstellung mit der Intimität der
Einzelkollektion verbindet.

Für Albert v. Keller bedeutet diese Ausstellung
geradezu eine Auferstehung. Zwar ist er bis in die
jüngste Zeit hinein ständiger Gast der Sommersezession
geblieben; aber nicht immer hat das Neue, das er
zeigte, dem Ruhm entsprochen, der seinem Namen
seit den achtziger Jahren anhaftet. Der Ruhm blieb
im Bewußtsein der Menschen stehen, aber vor den
letzten Leistungen Kellers verstand man ihn nicht mehr.
Sechzig Jahre sind keine kleine Last; aber auch diese
Entschuldigung reichte wohl nicht aus, um so ganz
und gar ermattete, oberflächliche Blender wie die
Serie Damenbildnisse der letzten Sezession zu recht-
fertigen. Die Farbe schmachtend und effekthascherig,
der Strich kraftlos und von nur künstlichem Tem-
perament, die Form hart, spröde und blechern —
das kann etwa als Kennzeichnung der meisten neueren
Arbeiten des Künstlers gelten.

Man begegnet ihnen allen wieder in dieser Kol-
lektion. Aber siehe da, sie haben nun wenigstens
ihre feste Stellung innerhalb des Entwickelungs-
prozesses einer blendenden, großen Begabung. Und
sie erscheinen, wenngleich sie um nichts besser ge-
worden sind, als das Abendrot am Himmel eines
glänzenden Künstlerlebens. Deuten sie auch nicht
vorwärts, so deuten sie doch rückwärts; haben sie
auch keine Nachkommen, so haben sie doch Vorfahren
guter, erlauchter Art, mit denen sie trotz ihrer Mängel
durch Blutsverwandtschaft verbunden sind.

Die große und feine malerische Kultur, die München
in den achtziger Jahren, kurz vor dem Einbruch aus-
gesprochen impressionistischer Tendenzen besaß, wird
von Albert v. Keller in maßgebender Weise repräsen-
tiert. Der junge Trübner, der junge Habermann, der
junge Uhde, auch Lenbach, W. v. Diez, H. v. Marees,
— wie viele andere Männer könnte man noch
nennen! — sie alle besaßen eine festgeschlossene,

einheitliche künstlerische Anschauung, eine allgemeine
fein durchgebildete Farbensprache, die für unseren
Geschmack ganz deutlich auf das Delikate, Feinnervige,
Intime, auf die kleinen, verschwiegenen Köstlichkeiten,
auf geradezu weiblichen Reiz, auf Anmut und Vor-
nehmheit gerichtet war.

Alle diese allgemeinen Vorzüge sind im umfassen-
den Sinne die besonderen Vorzüge des jungen Albert
v. Keller. Mit der Bacchanalskizze (1868) und dem
prachtvollen Bildchen »Audienz« (1871) ist er schon
im Besitz meisterlicher Vollendung. Die untadelige
Noblesse des Tones, die Feinheit des Striches, der
koloristische Reiz, wie sie dieses letztere Gemälde
aufweist, sind seinem Schaffen bis vor wenigen
Jahren treu geblieben. Seine Farbenskala, seine Technik,
seine künstlerische Anschauung der Dinge haben sich
gewandelt; aber in der Eleganz seines Auftretens, das
stets temperamentvoll beschwingt und doch vornehm
gedämpft war, ist er sich gleich geblieben. Zu den
besten Erzeugnissen dieser Frühzeit gehörte die »Park-
szene«, bei der alle Grazien in Person Pate gestanden
haben. Es ist ein wirklicher Gewinn, daß dieses
Werkchen, das mit der gedämpften Feinheit seines
Tones, mit dem graphischen Reiz seiner Farben und
der hohen Anmut seiner Linie für Kellers Anfänge
so eminent charakteristisch ist, für die junge Sezessions-
galerie gerettet werden konnte.

Keller ist von jeher ein hervorragender Schilderer
begrenzten Lichteinfalles gewesen. Dafür haben ins-
besondere die zahlreichen Skizzen zur Auferweckung
von Jairi Töchterlein als Beweis zu dienen. Sie tun
auch dar, wie nachhaltig, wie unermüdlich der Künstler
mit diesem Gegenstande gerungen hat, und es wird
nicht wenige geben, die gerade diese Skizzen mit
dem wirkungsvollen, brauenden Hintergrunde dem
endgültigen großen Gemälde vorziehen. In den
großen Formaten ist Keller niemals sehr glücklich
gewesen; als der pikante Esoteriker, der er von je
gewesen, lag die Bewältigung großer pathetischer
Kompositionen nicht im Bereich seiner Kraft. Er ist
zu epigrammatisch, zu geistreich, zu pointiert für die
pathetische Gebärde des monumentalen Figurenbildes.
Der Raum der großen Gemälde (Auferweckung,
Kreuzigung, Die glückliche Schwester, Judith) bleibt
gerade an den entscheidenden Punkten leer oder nur
mangelhaft ausgefüllt.
 
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