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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Liebermann, Max: Walter Leistikow: Rede an seinem Sarg
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0276

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang

1907/1908

Nr. 30. 14. August.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

Die nächste Nummer der Kunstchronik, Nr. 31, erscheint am 4. September

WALTER LEISTIKOWf
Rede an seinem Sarg gehalten von
Max Liebermann

Seit dem unheilvollen
Augenblicke, da mir der
Telegraph an das Gestade
der Nordsee die erschüt-
ternde Kunde vom Tode
Leistikows überbrachte,
will es mir unfaßbar er-
scheinen, daß ich unseren
Freund nicht wiedersehen
soll: hatte ich doch kurz
vor meiner Abreise den
Mann, dessen Bahre wir
heut trauernd umstehen,
rüstiger und wohlgemuter
als seit langem bei der
Arbeit angetroffen.
Freilich wußten wir Leistikow von schwerer Krank-
heit heimgesucht, aber in seiner Gegenwart vergaß
man aller Sorgen um seine Gesundheit: die Werke,
die eben erst unter seinem Pinsel hervorgegangen
waren, zeugten von so viel Frische der Auffassung,
von so gesunder Lebensfreude, waren mit solch kühner
und temperamentvoller Faust heruntergemalt, daß man
vergaß, einem todkranken Manne gegenüberzustehen.
Und unter der Freude, mit der er dem Beschauer
seine jüngst entstandenen Werke zeigte, schien er
selbst seiner Krankheit zu vergessen: Konnten die
Ärzte sich nicht geirrt haben? Oder konnte nicht
wenigstens die Meinung derer recht behalten, welche
ihm noch eine lange Reihe von Jahren ungetrübten
Schaffens versprach?

Leider hatten wir uns in falscher Hoffnung —
und wie gern glaubt man, was man wünscht — ge-
wiegt. Inmitten auf seinem Lebenswege ist Walter
Leistikow uns entrissen, und die Klagen an seiner
Bahre finden keinen Trost in dem Gedanken, daß er
an dem Ziele, das jedem Menschen gesetzt ist, ange-
langt wäre.

Aber trotz des jugendlichen Alters, in dem er uns
genommen, hat er seine Aufgabe vollendet: er hat
sich ausgelebt.

Ein jugendlicher Held, hat er in siegreichem An-

sturm die Schwierigkeiten der Künstlerlaufbahn in
einem Alter, in dem andere noch mühsam ihren Weg
suchen müssen, überwunden. Als hätte die Natur
gewußt, daß Leistikow in jungen Jahren sterben müsse,
hat sie all ihre Gaben frühzeitig in ihm zur Reife
gebracht, und nur so können wir die Fülle seiner
Produktion, die selbst für ein langes Leben noch
reich erscheint, verstehen.

Noch auf der Hochschule, zeigen seine Arbeiten
die ausgeschriebene Handschrift des Meisters, und ohne
Wanken und ohne Schwanken instinktiv geht er den
richtigen Weg, der ihn zur Originalität führen sollte.
Er sucht nicht weitab oder in fremden Landen seine
Motive, sondern er malt, was er sieht; fast vor den
Toren Berlins findet er die Sujets für die Werke,
welche seinen Namen in der Geschichte der deutschen
Landschaftsmalerei unsterblich machen werden.

Die Wahl der Motive bedingt die Popularität
eines Künstlers, aber erst ihre Behandlung und ihre
geistige Auffassung bedingen die Größe des Künst-
lers. Noch ein halber Jüngling, ist Leistikow bereits
einer der populärsten Maler Berlins geworden, aber
der schnell erworbene Ruhm verleitete ihn nicht —
wie's so oft geschieht — zu leichtsinnigem Ausbeuten
seines Renommees, sondern wir haben in Leistikows
Entwickelung das so seltene Beispiel eines stetigen
Anstieges, eines inneren Ringens, seinem Ideale näher
zu kommen. Und worin kann das Ideal eines Künst-
lers liegen als in dem jedesmal erneuten Versuch, dem
Gebilde seiner Phantasie plastischen Ausdruck zu ver-
leihen, dem, was er in der Natur gesehen oder zu
sehen vermeint, inneres Leben zu geben?

Natürlich ist auch Leistikow nicht als fertiger
Künstler vom Himmel gefallen: Die Ideen seiner Zeit
sind nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. In die
Zeit seines Auftretens fiel jene Rückkehr zur Romantik,
die als Reaktion auf die vorhergehende Epoche des
Naturalismus zu betrachten ist. Aber es ist der
stärkste Beweis für das Talent unseres Meisters, daß
er jene Elemente eines mehr dekorativen Stils in sich
aufnahm, sie in sich verarbeitete, ohne ihnen zu
unterliegen. Aus dem dekorativen Stil der andern
wurde sein eigener Stil.

Es ist Leistikows unvergängliches Verdienst —
und es wird es bleiben — den Stil gefunden zu
 
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