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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0156

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 17. 28. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF

Die Femmes artistes haben ihre sechzehnte Jahres-
ausstellung bei Georges Petit, und wie in den früheren
Jahren wagt man sich mit seinem Urteil nicht heraus.
Man will nämlich nicht gerne brutal und grob die
Inferiorität des weiblichen Geschlechtes behaupten, und
doch kann man beim allerbesten Willen nicht um die
Tatsache herum, daß diese weiblichen Ausstellungen,
mag es sich nun um die Femmes artistes oder um
die größere Union des femmes peintres et sculpteurs
handeln, ganz bedeutend unter dem Niveau der männ-
lichen Ausstellungen stehen. Man mag nicht gerne
aus dieser Tatsache auf die absolute weibliche In-
feriorität schließen, einmal weil die Frauen wirklich
weit, weit mehr Hindernisse zu überwinden haben als
ihre Brüder und Männer, und dann weil es zu allen
Zeiten Frauen gegeben hat, die beträchtlich über den
männlichen Durchschnitt hinausragten. Allerdings kann
man dazu stets bemerken, daß es keine Regel ohne
Ausnahme gibt, und daß diese talentierten weiblichen
Schriftsteller, Maler, Bildhauer usw. weiter nichts tun,
als die Regel bestätigen, aber wir wollen galant sein,
und lieber keine Schlußfolgerung ziehen. Jedenfalls
verdient in dieser sechzehnten Ausstellung der Pariser
Künstlerinnen beinahe nichts besondere Erwähnung,
und wenn die Blumen von Lisbeth Carriere-Devolve,
der Tochter des toten Meisters Eugen Carriere, erwähnt
sind, dann hat der Berichterstatter seine Pflicht getan.

In einem anderen Räume bei dem nämlichen Kunst-
händler stellt der Ungar Gyula Tornai aus, der in
Wien, München und Budapest studiert und nachmals
die Welt bereist hat. Ich fürchte sehr, daß man seine
Gemälde mehr als ethnographische Dokumente denn
als malerische Kunstwerke gelten lassen muß. Er
erinnert etwas an den Russen Werestschagin, der bei
Lebzeiten einen recht unverdienten Ruhm hatte, und
den man in der Galerie Tretjakoff in Moskau als
einen fleißigen und gewissenhaften Reporter und
Globetrotter, aber nicht im geringsten als Künstler
kennen lernt, während seine Napoleonbilder in Peters-
burg weiter nichts als unkünstlerische und recht win-
dige Phantasien sind. Tornai ist Reporter und Globe-
trotter, wie es Werestschagin war. Die hier ausge-
stellten Bilder aus Japan, Indien und Siam würden
vortrefflich einen Vortrag illustrieren, rein malerisch
existieren sie kaum. Die Malerei ist trocken, hart,

blechern, kurz so wie die Malerei Werestschagins,
nur nicht ganz so korrekt. Alles Interesse muß der
Gegenstand bringen, und demgemäß ist im Katalog
einer j'eder Nummer eine ausführliche ethnologische
Erklärung beigegeben, damit wir uns für die darge-
stellten Zeremonien, die abgebildeten Tempel usw.
gebührend erwärmen können. Was aber ganz be-
sondere Beachtung verdient in dieser Ausstellung,
das sind die Rahmen. Diese sind künstlerisch viel
interessanter als die Gemälde, und wenn Herr Tornai
ein tüchtiger Geschäftsmann wäre, könnte er mit diesen
Rahmen Hunderttausende verdienen. Es sind das lauter
nach ostasiatischen Motiven geschnitzte Holzrahmen,
und die meisten davon sind ebenso eigenartig wie
geschmackvoll und schön. Mit diesem zum Teil
wirklich entzückend schönen Ornament des fernen
Orients wäre etwas zu machen, und wenn Herr Tornai
klug ist, hängt er die Malerei an den Nagel und
gründet eine Rahmenfabrik, worin man nach diesen
Mustern arbeitet. Ich bin überzeugt, damit würde
er nicht nur mehr Geld verdienen als mit der Malerei,
sondern er würde auch der Kunst bessere und größere
Dienste leisten können. Denn unsere modernen
Rahmen sind in der allergrößten Mehrzahl von er-
schreckender Banalität, und das ist der Grund, daß
alle Künstler sich um die alten Rahmen aus den
vergangenen Jahrhunderten reißen. Wenn man ihnen
zu annehmbaren Preisen so eigenartige und schöne
Rahmen böte, wie sie Herr Tornai hier zeigt, so würden
sie sie mit Handkuß nehmen und bezahlen, und
Herr Tornai würde zum Wohltäter der Kunst werden,
was ihm als Maler wohl kaum gelingen wird.

Nicht weit von der Galerie Georges Petit, wo die
Societe des Femmes artistes zum sechzehnten Male
die Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechtes in
der bildenden Kunst darzutun bestrebt scheint, hat
sich in der Rue Caumartin bei den Artistes moder-
nes eine kleine Ausstellung aufgetan, die das Gegen-
teil beweist. Unter dem Titel »Quelques« haben
sich einige zwanzig oder dreißig Pariser Künstlerinnen
vereinigt und ihre erste Ausstellung veranstaltet, der
hoffentlich noch recht viele folgen werden, denn dies
ist eine der wenigen kleinen Ausstellungen, die man
mit wirklichem Genuß und Interesse besuchen kann.
Der Genuß ist allerdings desto größer, wenn man von
den Femmes artistes bei Georges Petit kommt, oder
 
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