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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Wolf, August: Die Plastik auf der VII. internationalen Kunstausstellung in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0044

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
^Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908

Nr. 4. i« November.

•nonat 1 K"n^tChr0nik erscneint als Beib'att zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
Kunst«6" h b'S ^ePtember monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Verl d f lten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
die d • and'.unS ke''ne Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
reispaltige Petiizeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

Die nächste Nummer der Kunstchronik, Nr. 5, erscheint am 15. November

DIE PLASTIK AUF DER VII. INTERNATIONALEN
KUNSTAUSSTELLUNG IN VENEDIG
Es dürfte keinem Widerspruche begegnen, in erster
Linie die Belgier zu nennen. Läßt sich doch nicht
leicht etwas plastischeres denken als die hier im Ab-
güsse vor dem belgischen Pavillon aufgestellte Gruppe
von Biesbrock: »Nackte Männer, welche eine Fahne
aufpflanzend deren Schaft in den Boden treiben«.
Von allen Seiten betrachtet bietet diese Kolossalgruppe
die prächtigsten Linien; bewunderswert ist die Model-
lierung der herkulischen Körper. Nicht minder groß
und mächtig die beiden Figuren Meuniers, »Sämann«
und »Kohlenträger«, deren Abgüsse den Eingang der
genannten Sonderausstellung flankieren, so wie im
Zentralsaale die bekannte Bronzegruppe des dahinge-
schiedenen großen Meisters: »Mutterglück«, in einfach
vornehmer Stilistik. — In einer Bronzebüste stellt
>hn V. Rousseau dar, von welch letzterem eine ganze
Reihe vortrefflicher Arbeiten vorhanden ist. Unter
seinen kleineren Sachen z. B. ein Jüngling in Be-
wunderung gestirnten Himmels in die Knie gesunken,
von größter Innigkeit der Linie und des Ausdrucks,
sowie zwei ganz junge nackte schreitende Mädchen
s'ch liebkosend. — In allen diesen Dingen ein wahr-
haft plastischer Zug. Derselbe Geist der Schönheit
'ebt auch in den hier ausgestellten Werken J. Dillens.
Bemerkenswert vor allem seine an die Sibyllen des
M. Angelo erinnernde prächtig drapierte Figur: »Das
Geheimnis des Grabes«. Ebenso fein verschiedene
seiner Porträtbüsten, z. B. die des Malers Leon Fre-
deric. — Eine Anzahl vortrefflicher Porträtbüsten hat
auch J. Lagae ausgestellt, deren beste zu nennen nicht
leicht sein dürfte. Unter ihnen, welche meist Künstler
darstellen, die Büste unseres deutschen Malers Schön-
leber. Die Porträtbüste Khnopffs von Samuel inter-
essiert wegen des Dargestellten. Sie entspricht ganz
dem B,ide, welches man sich von diesem Maler des
Übernatürlichen, des Geheimnisvollen macht: Die
färbe der Bronze in tiefem Kupferrot, der Abschluß
nach unten lassen sie fast wie ein seltsames indisches
Idol erscheinen. — Erscheint in der großen Plastik
der Ernst, die Feinheit der Darstellung, die schöne
Linie ein Besitz der belgischen Kunst, so steht ihr
gewiB an Bedeutung und Vortrefflichkeit G. De Vrese
m« seinen Medaillons und Plaketten nicht nach, deren

eine große Anzahl zu sehen sind. Es ist ein wahrer
Genuß, sich in die Betrachtung dieser kleinen und
doch so großen Kunstwerke zu vertiefen. — Es ist
unmöglich, von hier kommend, den großen Zentral-
saal der Ausstellung zu betreten, ohne vor Rodin und
seinem »Nachdenkenden« Halt zu machen, wie es
unmöglich ist, von der heutigen Plastik zu sprechen,
ohne in erster Linie den zu nennen, der so bedeutend,
so ungleich, so kühn exzentrisch ist und so viel Un-
heil angerichtet, so vielen Leuten den Kopf verdreht
hat. — Sollte nicht vielleicht mit diesem »Denken«
wie mit dem ganzen Rodin allzu viel Wesens gemacht
werden? — Auch hier nimmt er den Ehrenplatz ein
und Conte Grimani hielt es für seine Pflicht, diesen
Abguß für die Städtische Sammlung anzukaufen als
persönliches Geschenk an dieselbe. — Es wäre in-
teressant, einen Abguß von M. Angelos »Pensieroso«
daneben zu stellen, um den Leuten, welche Rodin
mit dem großen Florentiner in einem Atem nennen,
klar zu machen, welche Kluft sich zwischen dem einen
und dem anderen auftut. — Glücklicherweise fehlen
diesmal auf der Ausstellung die Nachahmer Rodins.
Beruhigend und tröstend wirkt neben Rodin Klingers
»Badende«, eine ruhige edle Bronze in Lebensgröße
von schönen Formen, wenn auch nicht irgendwie
hervorragend. — Von ihm ist auch eine Bronzebüste
Nietzsches, in welcher das Abstoßende des Ausdruckes
vielleicht etwas zu bestialisch gegeben ist. — Wand-
schneiders »Coriolan«, eine überlebensgroße völlig
nackte Bronzestatue, überrascht ebensowohl durch
Größe der Auffassung als durch das Mißverhältnis
der für den Oberkörper viel zu langen Beine. Unter
dem recht wenigen, was sonst von deutscher Plastik
zu sehen, ist bemerkenswert das viel umstrittene Reiter-
denkmal Kaiser Friedrichs in Bremen von Tuaillon
in einer Bronzereproduktion in kleinem Maßstabe,
ein im Hinblick auf Donatello entstandener kleiner
Johannes und eine Büste von F. Behn, eine bogen-
schießende Diana auf einem Hirsche von Wrba. Auch
Petterich hat sich für seinen Knaben für eine Fontäne
den Donatello angesehen. — Einige Arbeiten des
Polen Glicenstein können nicht übersehen werden;
die größte: ein lebensgroßer Nackter in Bronze, der
zum Springen den Anlauf nimmt, von rücksichtsloser
Naturalistik. — In der russischen Abteilung fesselt
 
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