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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [5]
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Hermann, Fed.: Römischer Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0310

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Römischer Brief

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Er ist so graziös und geistreich wie der graziöseste
und geistreichste von ihnen, seine Zeichnung ist ebenso
schön, so anmutig, so gefällig und dabei ebenso
richtig und fehlerfrei wie die ihre, seine Farbe ebenso
warm, ebenso einschmeichelnd, ebenso vornehm und
ebenso anheimelnd, und dabei kühner und über-
raschender als bei Frago und Watteau.

Als Kolorist ist ihm kaum einer zu vergleichen:
Besnard ist ihm in wenigen seiner allerbesten Sachen
nahegekommen, erreicht hat er die besten Arbeiten
von La Touche nie. Das große Nachtfest im Park
mit der von Satyrn geführten, mit bunten Lampions
behangenen Gondel, dem Springbrunnen, dem durch
die Luft schießenden Flammenregen des Feuerwerkes,
hat überhaupt nicht seinesgleichen in der modernen
Kunst, und ebenso wunderbar neu und schön sind
zahllose andere Bilder, die er jetzt bei Georges Petit
gezeigt hat. Da hängen an die dreihundert große
und kleine Gemälde, von ebensovielen winzig kleinen
Skizzen ganz abgesehen, und auch unter diesen
Skizzenblättern ist kaum eines, das ein anderer Maler
hätte hervorbringen können. Alles ist von einem
Reize, einer Liebeswärme, einer Kühnheit und Vor-
nehmheit der Farbe, wie man sie bei keinem anderen
Maler unserer Zeit findet. Das heißt, andere Maler
haben noch viel erstaunlichere Virtuosenstücke des
Kolorismus geleistet; was bei La Touche gefangen
nimmt, ist überzeugende Wahrheit, die seinen wunder-
barsten Farbenkonzerten eigentümlich ist. Alles ist
wahr, alles ist überzeugend bei ihm, auch das Märchen-
hafteste und Wunderbarste.

La Touche wohnt in St. Cloud, und der alte
Park wie Schloß und Park von Versailles sind sein
liebstes Gebiet, obgleich er ihnen vorübergehend auch
einmal den Rücken kehrt und die Normandie, Venedig
oder Spanien besucht. Seine Heimat sind die Park-
anlagen und die Innenräume aus der Zeit des Sonnen-
königs, und wahrscheinlich ist es seine Vorliebe für
die französischen Maler des achtzehnten Jahrhunderts,
die ihn auch zu den »Singeries« geführt hat. Wie
jene Künstler liebt er die Affenwelt und stellt neben
moderne Menschen seine Affen, bald im natürlichen
Zustand, bald als Menschen gekleidet und mensch-
lichen Beschäftigungen nachgehend. Aber der Gegen-
stand ist Nebensache, was uns am meisten entzückt,
ist der fast sensuelle Reiz der Kolorationen La Touches.
Seine Farben schmeicheln dem Auge in fast körperlich
fühlbarer Form: wie wenn uns eine weiche Hand
liebkosend die Wange streichelte. Jules Cheret hat
im Pariser Stadthaus einen Saal in entzückender Art
ausgemalt: die lustigsten Tanzweisen klingen uns da
an die Augen. Gaston La Touche verehrt eine an-
dere gemalte Musik, bei ihm wird nicht getanzt oder
höchstens vielleicht ein leise verklingendes Menuett
oder eine Gavotte, sondern er pflegt die traulich vor-
nehme, alle Fasern des Herzens in Bewegung setzende,
unser ganzes Inneres durchbebende Kammermusik.
Selbst in seinen Parkfesten, wo tausend bunte Lichter
zusammenfallen, geht es niemals laut und übermütig
zu. Immer schwingt leise, leise eine in der Ferne
verhallende Melodie mit, die den Grundton der ganzen

Symphonie hergibt. Und wenn man seine Ausstellung
verlassen hat, klingt und singt diese liebliche, die
Zeiten der Väter zurückbringende Weise noch lange,
lange in uns nach. KARL EUGEN SCHMIDT.

RÖMISCHER BRIEF

Die diesjährige achtundsiebzigste Kunstausstellung
der Societa degli amatori e cultori di belle arti in Rom
hat Publikum und Künstler so wenig befriedigt, daß sich
in diesen Tagen ein besonderes Komitee gebildet hat,
um die Ausstellungen zu bessern. Dem Dilettantis-
mus schlimmster Sorte, welcher seit einer Anzahl Jahren
den Eintritt in die Säle des Kunstausstellungsgebäudes
an der Via Nazionale nur in kleiner Schar hatte erlangen
können, war es dieses Jahr gelungen, wer weiß aus
welchen verborgenen Gründen, die Festung im Sturm
zu nehmen, und plötzlich standen sie wieder da in allen
Ecken. Farbenprotzend diefeuerroten Kardinäle, die Ciociaren
und die ganze saubere Oesellschaft. Damit soll ja nicht
gesagt sein, daß das Oute und Interessante ganz fehlte.
Tüchtige Künstler hatten sich auch dieses Jahr an der
Ausstellung beteiligt, doch ihre Werke kamen fast nicht
zur Geltung inmitten des vielen Widerwärtigen.

Von den Deutschen, von denen dieses Jahr verschiedene
die Ausstellung beschickt hatten, weil der Müllerpreis
den deutschen Malern erteilt werden sollte, kann man
sagen, daß sie eine der interessantesten Gruppen bildeten,
aber auch bei ihnen war nichts wirklich Hervorragendes
vorhanden. Max Roeder hatte einige seiner interessanten
klassischen Landschaften ausgestellt, Naether nur eine
Zeichnung. Reinhold Eichlers »Frühling«, »Herbst« und
»Apfelstube« konnten gewiß keine Ansprüche auf allgemeine
Beachtung machen, aber die Tüchtigkeit des Malers tritt uns
doch vor Augen, wenn auch unser Schönheitssinn unbefriedigt
bleibt. Auch Fleischer- Wiemans »Badende Knaben« konnten
trotz des anziehenden Gegenstandes kein wärmeres Gefühl
wecken. Tüchtig und gut war ein Seebild von Rlein-Chevalier.
Unter den deutschen Skulpturen treten als bemerkenswert
zwei Statuetten von Emil Stadelhofer hervor und verschie-
dene größere Statuen von Heinrich Glicenstein.

Einen ganz besonders guten Platz nahmen die
Deutschen in der Schwarzweiß-Sektion durch die ausge-
zeichneten Zeichnungen von Otto Greiner ein. Seine
Hexenschule ist bei aller Derbheit und Sinnlichkeit des
Ausdruckes ein großartiges Werk. Wie sicher ist die
Darstellung der verschiedenen Frauenkörper, die mit
raffiniertem Geist so ausgesucht und gestellt sind, daß
man von jedem sagen könnte, welches Laster es verkörpert.
In einer feinen Meeresstudie zeigt der Künstler, wie tief
er die Größe und Schönheit der Natur empfindet und wie
zarte Ausdrucksmittel ihm zur Verfügung stehen. Tyra
Kleen zeigt eine ganz besondere Begabung im künstlerischen
Schaffen von phantastischen Gestalten, die sie organisch
aus Pflanzen und Tierteilen zu neuen Formen zu bilden
versteht. In diesem Sinne ist ihr Bestes eine Zeichnung
vermenschlichter Orchideen. Äußerst fein und geistvoll
ist ihre Lebensfreude durch eine Frau dargestellt, welche
in einem schmalen Kahne aufrecht stehend sich den
wirbelnden Gischt einer rasenden Brandung über dem
Kopf zusammenschlagen läßt. Gut sind die römischen
Ansichten von Angelo Rossini, die allerdings reichlich
glatten Charakterköpfe und Porträts von Szoldatics und die
Karikaturen von Ezio Castellucci. Was ich schon bei der
vorjährigen Kunstausstellung hervorhob, der Verfall der
jungen römischen Künstler, die vor Jahren allen so hoff-
nungsvoll erschienen, zeigt sich dieses Jahr noch viel
deutlicher und beklagenswerter. Die guten Anlagen sind

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