Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

DOI Artikel:
St. Petersburger Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0142

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2Ö1

St. Petersburger Brief

262

wo de Rossi tonangebend war. Höchst beklagens-
wert ist die Niederlegung des einen Kavalierflügels
des Michaelpalais, der dem Gebäude der Ethnogra-
phischen Sektion des Alexandermuseums Platz machen
mußte. Die Harmonie des de Rossischen Prachtbaus
ist für immer dahin, trotzdem die neue Fassade seinen
Stil imitiert; nun soll auch der zum Palais gehörige
prächtige alte Garten von großen Alleen durchzogen
werden, welche zur eingangs genannten Sühnekirche
führen sollen. Da dadurch nicht einmal der Anblick
der Kirche viel gewinnen kann, ist diese Zerstörung
recht zwecklos. Viel Kummer hat den hiesigen Freun-
den alter Kunst der Umbau fast sämtlicher kleinerer
Brücken in der Stadt bereitet; er wird durch den Bau
der elektrischen Straßenbahn bedingt und wenn auch
die technischen Erfordernisse des modernen Verkehrs
ganz in Rechnung gezogen werden, so brauchte
deshalb doch nicht der kunsthistorische Gesichtspunkt
der Konservierung der alten Gitter usw. ganz außer
acht zu bleiben. Freilich, auch im besten Falle wird
ihre Nachbarschaft mit den unglaublich geschmack-
losen Leitungsträgern, die sich die städtische Straßen-
bahnkommission geleistet hat, nicht sehr effektvoll
wirken. In der Silhouette der Festung, die den
Ausblick auf das nördliche Ufer mit ihrem hohen,
spitzen, vergoldeten Glockenturm beherrscht, hat die
Erbauung der neuen Gruftkapelle für das Kaiserhaus
eine Veränderung gebracht; die Erbauung der Kapelle
war eine unabweisbare Notwendigkeit, aber der
Architekt hätte für ihre Kuppel ein anderes Profil
wählen können, das weniger mit dem Kontur der
Hauptkuppel konkurrierte. Eine Weile drohte nun
noch die definitive Verbauung des ehemals großen
Platzes von dem von Rinaldi erbauten Schlosse Kaiser
Pauls I., das jetzt die Militäringenieur-Schule und
Akademie beherbergt und daher den Namen Ingenieur-
schloß führt. Gegen diese systematische Zerstörung
eröffnete im vorigen Frühjahre die Zeitschrift Staryje
Gody einen Feldzug, der leider nicht immer mit der
nötigen sachlichen Ruhe und Leidenschaftslosigkeit
geführt wurde, die ihn wirksamer gemacht hätte.
Gleichzeitig setzte die Gesellschaft der Baukünstler eine
Kommission für Denkmalschutz ein, die ihre Tätigkeit
mit einigen energischen Protestresolutionen eröffnete.
Die eine verurteilte die »Wiederherstellung« der Kirche
Neredizki Sspass im Gouvernement Nowgorod, aller-
dings post festum; eine andere wandte sich gegen die
barbarische Manier, historische Gebäude stilwidrig zu
tünchen, worin sehr viel und sehr schwer bei privaten
und staatlichen Gebäuden (der »fiskalische« Anstrich
ist sprichwörtlich für jede Stil- undGeschmackslosigkeit)
gesündigt wird. Ich nenne nur als Beispiele von Privat-
häusern das Palais Stroganow von Rastrelli, dessen
rotbraune Farbenkruste alle Ornamente verschwinden
läßt, und von öffentlichen Gebäuden das des Dirigie-
renden Senates im Stile de Rossis, das gleichmäßig
gelbbraun getüncht ist, weil für das erste das Schloß
zu Zärskoje Selö, für das zweite der ganze Gebäude-
komplex.'unTdas Alexandratheater als nächste Muster
für stilvollen* Anstrich hätten dienen sollen, ist bei
beiden doch der ursprüngliche Anstrich immer wieder

erneuert worden. Die Kommission hat hierin bereits
einen praktischen Erfolg zu verzeichnen. Auf Initiative
des leitenden Architekten des Militärressorts von Hohen
sind zwei Flügel des ehemaligen PalaisMenschikow (jetzt
Erstes Kadettenkorps) nicht mehr nach der alten Scha-
blone, sondern stilgemäß zweifarbig getüncht worden.
Auch scheint die Kommission sich nicht auf Resolu-
tionen akademischen Charakters beschränken, sondern
praktischere Initiative ergreifen zu wollen, indem sie in
allen Fällen sich an die betreffenden Behörden zu wenden
gedenkt. So ist sie bereits gegen die erwähnte projektierte
Verbauung des Ingenieurschlosses beim General inspek-
teur der Genietruppen dem Großfürsten Peter Nikolaje-
witsch mit Erfolg vorstellig geworden. Ihre Pläne und
ihre Initiative werden allerseits dankbar begrüßt. Viel-
leicht ist sogar die Hoffnung nicht umsonst, daß sie
von der Kaiserlichen Akademie der Künste die nötige
Unterstützung erfährt, denn die Frage kompetiert doch
jedenfalls vor diese unsere höchste Kunstinstanz. Ob
diese aber geneigt sein wird, sich mit ihr zu befassen,
ist bei ihrem üblichen Arbeitstempo sehr fraglich.
Hat doch die stille Atmosphäre in der Akademie
Iljä Repin sein Lehramt definitiv verleidet. Noch immer
ist sein Meisteratelier, das übrigens kurioserweise
nicht Historie oder Porträt, sondern Genre zu pflegen
hat, vakant. Kardowski, Repins bisheriger Gehilfe, hat
ein eigenes Atelier erhalten, kommt also nicht mehr
als Ersatz für ihn in Betracht. Anfänglich wurden
die beiden talentvollsten Schüler Repins Kustödijew
und Kuliköw als Kandidaten für die Nachfolge ge-
nannt, neuerdings traten Maliäwin und Seröw in den
Vordergrund. Die Verhandlungen dauern Monate
und werden immer wieder vertagt. Von Seröw ver-
lautet, daß er dem Konseil der Akademie die merk-
würdige Bedingung gestellt habe, seinen Wohnsitz
in Moskau behalten und nur in gewissen Abständen
nach Petersburg zur Inspektion des Ateliers kommen
zu dürfen. Daß dieser Plan den Unterricht an der
Hochschule fördern könne, ist kaum anzunehmen
und einer energischen Förderung bedarf er dringend,
vermeidet doch ein großer Teil unserer Kunstjünger
die akademische Hochschule und zieht lieber in die
Privatateliers. So hat Jan Ciaglinski, der auch Pro-
fessor an der Hochschule ist, privatim regen Zuspruch
und ein ähnliches Symptom ist das kräftige Aufblühen
der Malschule, die Leon Bakst und Fedor Dobuzynski
vor Jahresfrist gegründet haben. Reges Leben hat in
den letzten Jahren nur in der Bibliothek der Akademie
geherrscht, die unter der rührigen Leitung Theodor
Baerenstamms steht. Sehr interessant sind die perio-
dischen Ausstellungen von Handzeichnungen russischer
Meister, von denen die Bibliothek einen großen Schatz
besitzt. Leider werden sie vom Publikum wenig be-
sucht, das irrtümlicherweise die Sammlungen der Aka-
demie für unzugänglich hält, vielfach von ihrer Exi-
stenz nichts weiß. Das ist nun kein Wunder, denn
ein Teil der Sammlungen, z. B. die Galerie Küschelew
mit ihren prächtigen Stücken aus der Schule von Bar-
bizon und andere mehr, ist in schwer auffindbaren
Räumen untergebracht; ein anderer, z. B. die nieder-
ländischen Gemälde, war bunt durch alle Etagen zer-
 
Annotationen