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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Neuerwerbungen der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0144

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Neuerwerbungen der Berliner National-Galerie

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der Brüstung über Stadt und Land, das Horn mit
festem Griff in der Rechten; die Turmuhr zeigt die
zwölfte Stunde. Das wäre auch ein Holzschnittmotiv,
was aber dem Bildchen seinen eigentlichen Zauber
verleiht, ist das außerordentlich duftig und locker ge-
malte Licht des Mondes. Den Vorwurf des aus der
Sammlung v. Rümann stammenden Gemäldes hat
Schwind noch einmal in einem der Zwischenbilder
des Aschenbrödelzyklus (1852—1854) wiederholt.
Neben manchem in der Farbe üppigeren, aber weniger
feingestimmten Bilde des Meisters in der National-
galerie begrüßt man diese sehr glückliche Neuer-
werbung mit besonderer Freude.

Die Süddeutschen wiegen bei dieser in einem
Kabinett des dritten Geschosses vereinigten Zusammen-
stellung vor. Hans von Marees, dessen Elberfelder
Herkunft alle Milieutheorien Lügen straft, überrascht
durch ein erstaunlich resolut, fast brutal herunter-
gemaltes Bildnis eines martialischen Rotbarts, des
Artilleriehauptmanns Bauer. Nach einem Vermerk auf
der Rückseite des Bildes malte es der Künstler im
Atelier des Schlei ßheimer Galeriekonservators Zwen-
gauer; das Entstehungsjahr ist 1863. Im Zusammen-
hang mit Marees muß diesmal Wilhelm von Diez
genannt werden; die großartig bewegte und sehr de-
korative Skizze eines hl. Georg, den Lindwurm tötend,
scheint ähnlich dem zurzeit bei Schulte ausgestellten
»St. Martin« das Produkt einer Periode, die den
Meister als gleichstrebenden Stilsucher neben dem
nur wenig älteren Deutsch-Römer zeigt. Ob dieser
in seiner Münchener Zeit auch Diez beeinflußt hat,
ist wahrscheinlich, aber noch nicht mit Sicherheit
festzustellen. Solche Aufschlüsse darf man von der
großen Marees-Publikation erwarten, die Meier-Gräfe
vorbereitet. Mit Diez ist es eigentümlich bestellt:
seine drei in der Nationalgalerie aufbewahrten Werke
verraten ebensoviele Stilperioden. Ein figurenreiches
Waldfest (1880) vertritt die bekannteste Manier, wo
die Farbe an Wouwerman, die Auffassung an Menzel
geschult erscheint, die Stoffe der deutschen Barockzeit
entnommen sind; das »tote Reh« könnte in Courbets
und Leibis Nähe entstanden sein und jene neue Er-
werbung fügt diesen disparaten Elementen wiederum
ein neues hinzu. Ganz anders der Frankfurter Fritz
Böhle, dessen neueste malerische Schöpfungen ja
ebenfalls der Mareesschen Richtung folgen. Als ein
Einundzwanzigjähriger hat er das reife und sichere
Bildnis eines schwarzgekleideten jüngeren Mannes in
Landschaft*) gemalt: es ist im wesentlichen der Böhle,
dessen herbe und großzügige Auffassung auch seinem
jüngsten Schaffen so begeisterte Freunde erwirbt.
Ein Bildnis ganz ohne Eleganz, ohne Delikatesse der
Farbe und doch alles Modische weit hinter sich
lassend durch die geradezu machtvolle Intensität und
Geschlossenheit des Ausdrucks. Nur bei den deutschen
Präraffaeliten findet man ähnliches.

Franz von Lenbach, dessen Andenken das ver-
flossene Jahr nicht eben günstig war— die große, aller-
dings ungeschickt zusammengestellte Auswahl seiner

*) Eine Abbildung in Heft 4 der Amtlichen Berichte
aus den Königl. Kunstsammlungen.

Porträts auf der Düsseldorfer Kunstausstellung wirkte
geradezu kompromittierend — erlebt eine Art Rehabi-
litierung durch den Ankauf eines Meisterwerkes, der
besonders durch die Abbildung in Gurlitts »Deutscher
Kunst« bekannt gewordenen Köpfe Schwinds und
Sempers, auf einer Leinwand in lockerer Pinsel-
führung übereinander gesetzt (von 1871). Lenbach
hat so viel Mißratenes und Flüchtiges hinterlassen, daß
es geradezu als Pflicht deutscher Galerien erscheinen
muß, seine besten Sachen aufzukaufen und dadurch
sein Andenken rein zu erhalten.

Überraschen mag manchen Kunstfreund die große
Schätzung, die der 1903 verstorbene Karl Schuch bei
der Direktion der Nationalgalerie genießt. Zu den
vorhandenen vier Werken treten jetzt drei neue, eine
Landschaft und zwei Stilleben. Es scheint, daß Herr
v. Tschudi sich nicht der wenig pietätvollen An-
schauung Wilhelm Trübners (in seinen Lebens-
erinnerungen) anschließt, als sei Schuch nur ein Nach-
treter des Karlsruher Meisters gewesen! Und wenn
man diese Küchenstücke, eins mit Gemüsen und
Kochgeschirr, das andere mit Rebhühnern und Käse,
unbefangen auf sich einwirken läßt, wird man eher
zugeben müssen, daß ähnliche Stücke Trübners gegen
die ungewöhnliche malerische Gourmandise Schuchs
zurückbleiben. Sie haften am Äußerlichen, wo Schuch
sich ganz tief in die Dinge hineinfühlt. Bei der
Landschaft, einem Gehöft am Flußufer, tritt in den
schwergrauen und tiefgrünen Tönen Courbets Einfluß
bestimmend hervor. Schuch hielt sich 1878 und
dann von 1882 bis 1894 in Paris auf.

Schuch war aus Wien gebürtig (sein Vater aller-
dings nach Hagemeisters Mitteilung ein eingewanderter
Pfälzer), aber wie wenig Wienerisches im landläufigen
Sinne des Wortes in seiner Kunst steckt, zeigen
deutlich einige wertvolle Bereicherungen der öster-
reichischen Abteilung der Nationalgalerie. Da sind
von Rudolf von Alt zwei Frauenköpfchen in duftiger
leichter Aquarelltechnik, von Franz Eybl (1806 —1880)
die ein wenig sentimentale, aber ganz reizend gemalte
Darstellung eines Landmädchens, das ein Grab be-
kränzt. Eine kerngesunde Malerei; wie sich, dieser
Feldblumenkranz von der kräftig-blauen Schürze der
Trauernden abhebt, erinnert an die ungebrochenen
Farben alter Bauernkunst. Von Pettenkofen, den Eybl
beeinflußte, wurde eine kleine Landschaft mit Pferden,
die zur Schwemme getrieben werden, erworben.

Schließlich auch einige Düsseldorfer. Man darf
sich freuen, daß jetzt auch die jüngere Generation,
deren Leistungen in Berlin viel zu wenig bekannt
sind, durch eine sehr stimmungsvolle Abendlandschaft
Max Ciarenbachs (geb. 1880) vertreten ist. Eine
Schafherde von Karl Seibels (1844 — 1877) ist nicht
sonderlich anziehend; es gibt bedeutendere Werke
von diesem Meister, auf den jüngst die Aufmerksam-
keit durch eine Abhandlung in den »Rheinlanden«
gelenkt wurde. Eduard von Gebhardt dagegen
konnte kein besserer Dienst geleistet werden als durch
den Ankauf des »Bürgermeisters Wortmann«, ein so
schlicht gemaltes wie innig empfundenes Bildnis eines
ehrwürdigen alten Herrn von niederdeutschem Typus.
 
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