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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Eine Krisis in der Nationalgalerie
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Florentiner Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0181

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339

Florentiner Brief

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nicht eben wenige, kräftig protestieren, wenn sie
Ursache haben, ein Zurückschrauben auf die faden-
scheinigen Ideale Max Jordans zu befürchten. Die
Erregung in den Kreisen der Kunstfreunde ist eine
allgemeine; sie sehen ein, wie verfrüht die Hoff-
nungen waren, die sich an die Berufungen Messels und
Bruno Pauls, die Auszeichnungen Gauls und Tuaillons
geknüpft haben. Diese Erregung wird zweifellos im
preußischen Abgeordnetenhause ein Echo finden.

Und noch eine Frage bleibt im Interesse unserer
Kunstsammlungen zu beantworten. Ähnlich wie Bode,
dem er als vorbildlicher Museumsleiter gleichzustellen ist,
hat auch Tschudi einen ganzen Kreis opferwilliger
Freunde der modernen Kunst zu gewinnen verstanden,
dem beispielsweise in den letzten Jahren Hauptwerke
von Leibi und Liebermann, Daumier, Courbet und
Renoir zu verdanken waren. Es scheint mehr als
fraglich, ob diese Gönner auch künftighin ein In-
teresse bezeigen werden, das aufs innigste mit der
Persönlichkeit des Direktors verknüpft war. Die un-
verständliche Maßregel der Regierung schneidet also
auch ins Fleisch der öffentlichen Kunstpflege. Die
Zeitungen tun recht, sie auch im politischen Teil zu
behandeln. Der Fall Tschudi stellt ein Stück Zeit-
geschichte dar und kein erfreuliches.

FLORENTINER BRIEF

Seit der Mitte der achtziger Jahre war die Kuppel
des Baptisteriums stets durch Gerüste dem Anblick
entzogen; aber erst etwa zwölf Jahre später, nachdem
man sie aufgestellt, wurde die Arbeit begonnen, der sie
dienen sollten: die Restaurierung der Mosaiken. Dann
hat es rund abermals zwölf Jahre gedauert, bis dieses
kolossale Erhaltungswerk zu Ende geführt worden
ist. Endlich seit einigen Wochen sind die Gerüste
abgebrochen; die Kuppel ist wieder völlig frei. Die
Arbeit ist mit großer Sorgfalt und unter Schonung
des Alten durchgeführt worden; freilich mußte vieles
Fehlende ersetzt werden; von drei Szenen fand sich
nicht eine Spur mehr. Leider gestattet das ungünstige
Licht das Studium nur an besonders hellen Tagen;
es ist daher erfreulich, daß verschiedene Photographen
den ganzen Zyklus aufgenommen haben.

Bei den Restaurationsarbeiten ist der Leiter der
Arbeiten, Architekt Castellucci, dem man auch die
Wiederauffindung eines Doppelpilasters von der Can-
toria des Luca della Robbia zu danken hat, auf Frag-
mente der ursprünglichen Marmorschranken, die den
Altarraum gegen die Kirche abschlössen, und des
alten Taufbrunnens, dessen Platz in der Mitte noch
am Fußboden genau zu erkennen ist, gestoßen. Diese
wertvollen, wohl der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
entstammenden Reste werden dem Museum der Dom-
opera einverleibt.

Die vier angefangenen Statuen Michelangelos, die
Buontalenti in der von ihm angelegten Grotte am
Eingang des Boboligartens dekorativ verwendet hatte,
werden jetzt von dort entfernt und sollen die Samm-
lung der Akademie bereichern. Gegenwärtig formt
man sie ab; die Kopien werden in jener geschmack-
los-reizvollen Anlage, die für das ausgehende Cin-

quecento sehr charakteristisch ist, angebracht, das so-
mit als Ganzes erhalten bleibt. —

Durch die italienischen Zeitungen geht die Sen-
sationsnachricht von dem Fund von 68 Briefen
Michelangelos an Vasari. Damit verhält es sich so.
Ein namhafter, jüngerer Forscher, dessen Name allen
wohlbekannt ist, die sich mit florentinischer Kunst
beschäftigen, hatte von den Marchesi Spinelli in
Florenz Erlaubnis erhalten, ihr Privatarchiv für einen
bestimmten Zweck durchsehen zu dürfen. Bei dieser
Gelegenheit stieß er auf ein älteres Inventar des
Archivs, aus dem sich ihm ergab, daß in früherer
Zeit Serien von Briefen an Giorgio Vasari dort vor-
handen gewesen waren. Die Aufmerksamkeit war
rege gemacht; bald kam einer dieser Bände zutage,
andere folgten, bis endlich fünfzehn solcher Volumina
gefunden waren. Darin auch die Briefe Michelangelos
an den Aretiner. Der Finder hielt es für seine
Pflicht, den Besitzer von seiner Entdeckung in Kennt-
nis zu setzen. Der Erfolg war, daß ihm der Zugang
zu diesen Schätzen versperrt wurde. Der Marchese kün-
digt jetzt an, daß er die Michelangelo-Briefe ver-
öffentlichen lassen werde. Es handelt sich übrigens
um eine geringere Zahl, als in der Tagespresse an-
gegeben wird. Nimmt man hinzu, daß einige dieser
Briefe bereits bekannt sind (Milanesi hat sie nach
einer späteren Abschrift in seinem Bande publizieren
können), so schwächt sich das Interesse einigermaßen
ab. Immerhin können sie über die Arbeiten, die
Vasari für Michelangelo zu leiten hatte, einigen Auf-
schluß geben, zumal auch ein paar architektonische
Zeichnungen des Meisters bei den Briefen liegen.

Aber nicht diese Briefe stellen, glaube ich, den
für die Kunstgeschichte wichtigsten Teil des Fundes
dar. Vielmehr werden wir aus anderen Briefserien
für die Erkenntnis Vasaris, des Schriftstellers, neue
und unerwartete Aufschlüsse erwarten dürfen. Be-
finden sich doch in jenem Carteggio die Briefe
Giambullaris und Vincenzo Borghinis, der beiden
Männer also, die notorisch an dem Entstehen des
großen Werkes der Künstlerbiographien einen wesent-
lichen Anteil gehabt haben. Ferner ist eine Art
Tagebuch Vasaris darunter, worin er aufzeichnet, was
er getan hat; zwei Bände umfassen seine Korrespon-
denz mit Herzog Cosimo, werden also über seine
Tätigkeit besonders im Palazzo Vecchio, über den
Bau der Uffizien und die anderen bedeutenden Unter-
nehmungen seiner späteren Jahre wichtiges Material
enthalten.

Man wird daher, ohne sich dem Vorwurf der
Übertreibung auszusetzen, sagen dürfen, daß dieser
Fund alle seit länger Zeit gemachten archivalischen
Funde in den Schatten stellt, und hoffen, daß es dem
Forscher, dessen Namen zu verschweigen ich gebeten
worden bin — erraten werden ihn die mit den Ver-
hältnissen Vertrauten lange haben —, bald vergönnt
sein möge, den Schatz zu heben, den er nachgewiesen.
Es ist dies ein Fall, wo uns das Eingreifen des Staates
dringend geboten erscheint, damit diese wertvollen
Papiere tunlichst bald den möglichen Gefahren, denen
sie ausgesetzt sind, entzogen werden. Ihr rechter
 
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