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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Aus Berliner Kunstsälen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0189

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355

Ans Berliner Kunstsälen

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lingen« und den allegorischen Frauengestalten mit
den unmöglichen Hauttönen nur das Gefühl einer
niederschmetternden Leere zurück. Erlers Begabung
wurzelt durchaus im Dekorativen; wie stark er auf
diesem Gebiete sein kann, zeigte er bereits früher in
den Fresken der Villa Neißer in Breslau; die Wies-
badener Entwürfe begründen diese Meinung noch
besser. Es wird hier in der Tat ein Weg zu neuen
Wirkungen in der Freskomalerei eingeschlagen, der
sowohl die illusionistischen Künste der Barockmaler
und ihrer heutigen Nachfahren, wie auch die Raum-
kunst der Hans von Marees und des anders gearteten
Puvis de Chavannes vermeidet. Was Erler anstrebt,
sind teppichartige Wirkungen. Er schmückt die Wand
mit flächig behandelten Kompositionen, die zuerst
farbig gedacht scheinen. (Ein Beispiel: im Fresko-
bilde des Sommers soll zum Hauttone nackter und
halbbekleideter Frauen eine Kontrastfarbe treten; nur
aus dieser Gesinnung heraus ist die tiefschwarze,
ganz der Modellierung entbehrende Gestalt des Mohren
zu verstehen.) Auf eine Weise, die Willkür und
kühle Überlegung seltsam vereinigt, ist nun tatsächlich
eine sehr festliche und heitere Gesamtstimmung er-
reicht, die vorzüglich den Zwecken dienen muß, für
die der Architekt sie bestimmt hat. Am gelungensten
erscheint das Bild des Winters mit seinem kapriziösen
Durcheinander der Masken, der Ritter, Rokokodamen
und Pierrots, der bunten Pracht der Heiligen Drei
Könige. Das prägt sich in den Silhouetten ein und
ist auch farbig sehr ansprechend. Man muß es hin-
nehmen, daß die Figuren nicht in den Raum gestellt
sind, sondern wie Marionetten aufgereiht vor der
Bühne erscheinen. Ob der deutschen Kunst, die sich
eines Besitzes wie der Neapeler Fresken von Hans
von Marees rühmen darf, dieses neue malerische Prin-
zip zum Heile gereichen kann, möchte ich bezweifeln.
Besonders gegenüber denen, die sehr eifrig und sehr
geschmacklos (wie der Verfasser des Katalogvorwortes)
die Messiassendung Fritz Erlers betonen.

Ein ganz anders gearteter Münchener trat in den
letzten Monaten in Hugo Freiherrn von Habermann
hervor, von dem Schulte eine recht lehrreiche Kollek-
tion brachte. Ein ursprüngliches rassiges Maler-
temperament, vielleicht immer noch das kräftigste im
heutigen München, leider gefesselt und geschädigt
durch leidige Atelierangewohnheiten. Wenn man zu-
sieht, wie die Furia des Habermannschen Vortrags
bisweilen den Rahmen des Staffeleibildes sprengt,
möchte man bedauern, daß der Künstler nicht einige
Jahrhunderte früher auf die Welt gekommen ist.
Vielleicht wäre dann ein geistreicher und handfester
Kirchenmaler aus ihm geworden, eine Art Martin
Knoller, freilich mit einer an Velasquez geschulten
Palette. Diese nun ist es, die Habermann immer
wieder interessant erscheinen läßt, auch da wo die
Eintönigkeit seines bekannten Lieblingsvorwurfes ver-
stimmend wirkt. Mit welchem geradezu bestrickenden
Reichtum von kräftigen und zarten Farbennuancen
ist beispielsweise die jüngste Schöpfung ausgestattet,
»Das Modell«, ein Halbakt mit fast allzu üppigem
Stilleben von Kleidungsstücken und Atelierschmuck.

Ein sattes Grün und kostbares Rosa herrschen vor.
Dieser Künstler hätte das Zeug, die Meninas unserer
Zeit zu malen; daß er sich darauf beschränkt, Modelle
und Stilleben zu malen, ist ein Beitrag zum Kapitel
heutiger Kunstökonomie. Es bleibt eine Kunst für
Kenner und bei Schulte kann man wiederum die
Wahrnehmung machen, wie wenig Anklang dieser
ausgezeichnete Maler immer noch bei einem größeren
Publikum findet. Dieses drängt sich dagegen nebenan
vor den »liebenswürdigen« Porträts und Genrebildern
F. A. von Kaulbachs, der in seinen Kinderbildern
jetzt glücklich auf einem Niveau angekommen ist,
das durch einen Hinweis auf die bekannten Pears-
Soap-Plakate gekennzeichnet sein mag. Alles, was Kaul-
bach an malerischem Temperament je besessen haben
mag, scheint ertränkt in der Routine einer eilfertigen
und nur noch »Gefälligkeit« erstrebenden Mache.

Einige Wochen vorher hatte derselbe Salon Ge-
legenheit zu einem Überblick über Otto Greiners
Schaffen gegeben. Das ernste Bemühen dieses glän-
zenden Zeichners um einen zugleich monumentalen
und malerischen Stil, in erster Linie veranschaulicht
durch den vom Leipziger Museum entliehenen
»Odysseus«, fand auch hier die größte Anerkennung,
nur wenig gemindert durch das Gefühl, daß eben
die zeichnerische Akkuratesse und das fast allzu scharfe
Auge des Künstlers diesem Streben zunächst noch
nachteilig sind. Immerhin bezeugte eine jüngeres
Werk, »Herakles im Hause der Omphale«, eine
größere Weichheit des Tons, allerdings auch einen
Verzicht auf kräftig-farbige Wirkung. Den reinsten
Genuß boten auch hier wieder die meisterhaften Vor-
studien zum Odysseusbilde und die graphischen
Blätter; neu waren einige in Pastellmanier gehaltene
Landschaftsstudien in einer von den sonstigen Ge-
wohnheiten abweichenden fast impressionistischen Art
des Sehens. Außerdem schien bei Schulte noch be-
merkenswert eine Sonderausstellung des tüchtigen,
den Künstlern der »Scholle« verwandten Stuttgarters
Robert Weise.

Den nachhaltigsten Eindruck der letzten Monate
verdankte man jedoch dem Cassirerschen Kunstsalon.
Die neuesten Schöpfungen Max Liebermanns schienen
Oskar Bies optimistischer Behauptung, daß der Sechzig-
jährige erst die Hälfte des Lebens hinter sich habe,
beinahe Recht zu geben. Liebermanns Kunst hat das
Altern nicht gelernt und wird es auch kaum lernen.
Das macht: der Künstler führt keine Atelierexistenz,
sondern schöpft immer aufs neue frische Kräfte aus
der innigsten Berührung mit der Natur. Es gibt
viele, die die »Eintönigkeit« seiner holländischen
Motive beklagen und einen neuen kühnen Schritt in
der Richtung des Simsonbildes erwarten. In der Tat
sind die Badenden Knaben und die Reiter am Strande
ein Vorwurf, dem man in Liebermanns Schaffen viel-
leicht allzu häufig begegnet. Es darf jedoch nicht
vergessen werden, daß es nicht so sehr das Motiv an
sich ist, das den Meister lockt, als die Möglichkeit,
an ihm den ganzen Umfang seines künstlerischen
Sehens zu veranschaulichen. Überraschungen sind
dagegen die drei Varianten einer »Gemüseauktion in
 
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