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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schleinitz, Otto von: Die Winterausstellung in der Londoner Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0197

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Die Winterausstellung in der Londoner Akademie

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darf eine kleine »Pietä« (27) von Filippino Lippi
übergangen werden. Dies vorzügliche Werk bildet
zweifellos den Teil einer Predella; ob der Rest vor-
handen, konnte bisher nicht ermittelt werden. Das
Bild zeigt eine interessante Abweichung von der ge-
wöhnlichen Praxis der Florentiner dieser Epoche, in
welcher sich die Figuren von einem dunklen Hinter-
grund abheben. Das Gemälde wurde kürzlich in
Bologna entdeckt und es gibt von demselben eine
gute alte Zeichnung, die sich in der Sammlung Lord
Pembrokes in Wilton befindet. Der von- Martin
Colnaghi gesandte Lorenzo Lotto »Die Jungfrau mit
Kind und Heiligen« (Nr. 28) trägt sicherlich die echte
Bezeichnung des Meisters mit der Jahreszahl 1521
und wird demnach fast gleichzeitig mit dem Altar-
blatt in Bergamo entstanden sein. In Berensons Liste
wird es aufgeführt. — Ob das von Mr. Fairfax Murray
geliehene und Botticelli zugeschriebene umfangreiche
Rundbild »Die Jungfrau mit Kind und Johannes«
(Nr. 32) tatsächlich von dem Meister herrührt, mag
fraglich bleiben. Angegriffen wird es vielfach werden!
In den Köpfen der Figuren liegt manches Typische
von Botticellis Kunst, und weil der Johannes in einem
Gemälde der »National Gallery« (Nr. 275), das nicht
unbedingt dem ersten zuerkannt wird, Anklänge mit
dem in Rede stehenden besitzt, so bildet dies doch
noch keinen Beweis für die Unechtheit des in einem
schönen alten florentiner Rahmen gefaßten Werkes.
Bei der kritischen Untersuchung nur die, den aller-
besten Arbeiten eines Meisters gleichkommenden Ge-
mälde, ihm in zweifelhaften Fällen zuweisen zu wollen,
erscheint wegen der verschiedenen Perioden fast jedes
Künstlers unhaltbar. Dagegen kann (Nr. 33) »Männ-
liches Porträt«, ohne weiteres als nicht von Raffaels
Hand ausgeschieden werden. Zum Schluß der ita-
lienischen Schule will ich noch auf das exquisite
Porträt »Vincenzo Guarino« (Nr. 38) aufmerksam
machen, das 1572 datiert, also sechs Jahr vor dem
Tode seines Schöpfers Giambattista Moroni voll-
endet wurde. Dieser Bergamaske, der berühmteste
Schüler des großen Moretto da Brescia, beweist auch
in dem erwähnten Bildnis, daß er die Eigenschaften
besaß, um ihn als ein Bindeglied zwischen den Vene-
zianern und Velazquez ansehen zu können. —

Ein Bildnis Kaiser Karls V. (Nr. 127), nach dem
Katalog von Tizian herrührend, ist ein brillant ge-
maltes Werk, aber mit zuviel flämischem Einfluß her-
gestellt, um ohne weiteres dem großen Venezianer
überwiesen werden zu können! — Die Holländer
und Flamländer des 17. Jahrhunderts in Saal II und III
bieten ungewöhnliches Interesse, aber ich fürchte, der
Rembrandt und der Rubens werden vor einer nach-
haltigen Prüfung nicht bestehen können! Der vom
Herzog von Richmond geliehene van Dyck, König Karl I.
und seine Familie darstellend, ein Gruppenbild von vier
Personen, würde mehr Anziehungskraft ausüben, wenn
nicht die viel bessere Version desselben Gemäldes in
Windsor zu bekannt wäre. Es handelt sich wohl um
eine Werkstattwiederholung durch Hannemann. Wir
erblicken in der Ausstellung Terburg, Gonzales Coques,
Jacob Ruysdael »Umgebung von Haarlem« (aus der

»Kann-Sammlung«), Salomon Ruysdael, Adrian Ostade,
Heyden und Snyders gut repräsentiert. Die aus einem
Fenster herausschauende Bauersfrau von Ferdinand Bol
erinnert uns an eine ganze Serie derartiger Fensterbilder
Rembrandts in Dulwich, Stockholm, Petersburg und
anderwärts. Ferner befinden sich sehr bemerkens-
werte Arbeiten von Art van der Neer, Nicholas
Berghem, David Teniers, Backhuysen und Paul Potter
(aus der »Kann-Sammlung«) in der Ausstellung. Nicht
minder vorzügliche Werke sind die beiden vom Herzog
von Wellington gesandten Wouvermans »Aufbruch
zur Jagd« (Nr. 59) und »Rückkehr von der Jagd«
(Nr. 55), allein noch ganz besonders müssen die Herrn
Otto Beit gehörigen Bilder »Rauhe See« (Nr. 67) von
Jacob Ruysdael, und eine von Hobbema geschaffene
holländische Landschaft (Nr. 69) hervorgehoben werden.
Waagen war der Ansicht, als er dies Werk bei Lord
Hatherton sah, daß es eine ganze Galerie wert sei.
Die Figuren rechts im Vordergrunde stammen von
Adrian v. d. Velde her; die Signatur und Datierung
lautet: »Minderhout Hobbema f- 1663«. Ein Soldaten-
stück (Nr. 51), das den Brüdern Antonio und Louis
Le Nain zugesprochen wird, ist in Wahrheit nach Er-
klärung eines genauen Kenners ein Sebastian Bourdon.
Um die auf der Ausstellung gebotene Gattung des Still-
lebens wenigstens nicht ganz zu übergehen, nenne
ich die in ihrer Art unübertrefflichen, von Martin
Colnaghi geliehenen beiden Blumenstücke des Peter
Faes (Nr. 56 und 58). Dieser Künstler leistete vor-
zügliches in der Manier van Huysums, aber mit einem
stärkeren Pinsel und mehr unserem modernen Gefühl
entsprechend.

Eine besondere Rarität ist der echte, späte Hercules
Seghers aus dem Besitze des Herrn C. Speyer. Mit
dieser Flußszenerie steigt die Zahl der nachweisbaren
Gemälde des Hercules Seghers auf etwa zehn.

Im Saal III ist Reynolds und Romney, im Saal IV
Hoppner, Gainsborough und Raeburn stark vertreten.
Hier finden wir den besten überhaupt existierenden
William Beechey (1753—1839) »Porträt von Lady
Harriet Stanhope in einer Landschaft« (Nr. 162) und
das »Poringland Oak« (Nr. 170) benannte Gemälde
von John Crome, ein so bedeutendes Werk des Künst-
lers, daß es vielleicht den Maßstab für seine höchsten
Leistungen abgeben kann. Bisher öffentlich nicht
gesehen wurde Reynolds' »Porträts der Schwestern
Paine« (Nr. 147), ein entzückendes Bild aus dem Be-
sitz von Mr. Charles Wertheimer, und ferner »Porträts
von Lady Scott und ihrer Brüder, den Herzog von
Buccleuch und Lord Scott«, Mr. Drummond gehörig.
Wie sehr wohl bekannt, vermochte Reynolds Damen
gut zu malen, die dem Liebesgotte opfern, sobald er
aber solche Szenen darstellte, die einen antik-mytho-
logischen Zug, wie zum Beispiel in dem Bilde »Lady
Blake als Juno« (Nr. 146) aufweisen, so fallen der-
artige Arbeiten so schwach aus, daß, wären sie durch
ein ungünstiges Schicksal von seiner Kunst allein
übrig geblieben, man hiernach niemals auf einen großen
Meister hätte schließen können.

Den Stempel für die Gesamtausstellung drückt
ihr gewissermaßen die zur Anschauung gebotene
 
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