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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0205

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Pariser Brief

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Gegenwart ein, daß auch die wiederholte Demon-
stration einer schon bekannten Lehre immer noch
interessant ist. Die hier gezeigten Bilder Sisleys aus
den sechziger und siebziger Jahren sehen den etwa
gleichzeitigen Landschaften Manets und Monets über-
raschend ähnlich. Was noch seltsamer ist: auch
Gauguin, der nachmals der seltsamen polynesischen
Verzückung verfiel und die plumpen und bunten
Holzschnitzereien der Südseeinsulaner als Offen-
barungen höchster Kunst bewunderte und nachahmte,
hat damals in dem nämlichen harmonischen Silbertone
gemalt. Dieser Ton aber stammt von Corot, und
die Mittelsmänner, die ihn von dem Altmeister zu
den Impressionisten herübergebracht haben, sind
Boudin, Cals, Jongkind und besonders Lepine. Erst
in den achtziger Jahren fängt bei Sisley das an, was
man jetzt eigentlich Impressionismus zu nennen pflegt:
das Arbeiten mit unvermischten Farben, das schließ-
lich beinahe mehr zu wissenschaftlicher Forschung
als zu künstlerischer Aussprache künstlerischer Ge-
danken geworden ist. Dieser Verzicht auf die
Mischung der Farben auf der Palette, dieses Neben-
einandersetzen unvermischter Farben, die sich erst aus
der richtigen Entfernung verbinden und harmonisieren,
was zum Charakteristikum des heutigen Impressionis-
mus geworden ist, ist nun freilich nicht von diesen
heutigen Impressionisten erfunden worden. Neulich
berichtete Gaston La Touche, der mit Eva Gonzalez
und Berthe Morisot vielleicht der einzige Maler ist,
der direkt von Manet Unterweisung und Lehre
empfangen hat, daß Bracquemond, der bekannte Maler
und Radierer, ihm erzählt habe, wie er, Manet und
Monet, eines Tages im Louvre dem Maler Fantin-
Latour zugesehen hätten, wie dieser die Hochzeit von
Kana von Paul Veronese kopierte. Mit großem
Erstaunen sahen sie, daß Fantin seine Farben unver-
mischt auf die Leinwand brachte, wo sie dann ein
seltsam schillerndes Schmetterlingsfarbenmeer bildeten.
Die drei blieben stehen und befragten Fantin-Latour
nach der Ursache dieser sonderbaren Malmethode,
und Fantin setzte ihnen auseinander, wie diese Farben
in der richtigen Distanz zusammengehen und eine
weit größere Leuchtkraft zeigen müßten, als auf der
Palette vermischte Farben. Nach Bracquemond und
Latouche wäre also Fantin-Latour der eigentliche Vater
des modernen Impressionismus, und Manet und
Monet wären von ihm auf den Weg gewiesen
worden, der inzwischen eine via triumphalis ge-
worden ist.

Indessen läßt sich hier, wie wohl in allen mensch-
lichen Erfindungen und ganz besonders auf dem
Gebiete der Kunst, diese Technik noch viel weiter
zurückführen, und es ist wahrscheinlich genug, daß
das Malen mit unvermischten Farben ziemlich so alt
ist wie die Malerei selbst. Wenn uns die Dokumente
nicht im Stiche ließen, würden wir sicherlich das,
was wir heute Impressionismus nennen, um Jahr-
hunderte zurück verfolgen können. Fantin-Latour
selbst hat seine Technik mit Delacroix zusammen-
gebracht, der bekanntlich ein großer Techniker und
Probierer war und auch das Malen mit unvermischten

Farben versucht hat. Von einem älteren Impressio-
nisten berichtet eine Notiz, die in den vor fünfzig
Jahren veröffentlichten Tagebüchern des im acht-
zehnten Jahrhundert in Paris lebenden deutschen
Kupferstechers Johann Georg Wille gedruckt ist und
von dem Kunstschriftsteller Bachaumont (1690—1771)
herrührt. Bachaumont sagt von Chardin: »Seine
Technik ist sonderbar: er setzt seine Farben neben-
einander, fast ohne sie zu mischen, so daß seine
Malerei fast aussieht wie Mosaik«. Wahrscheinlich
malte Chardin wie vor ihm van der Meer von Delft,
und van der Meer hat vielleicht von den Venezianern
gelernt, wie man den Farben ihre größte Leuchtkraft
geben kann. Das Wort des weisen Ben Akiba dürfte
also wohl auch hier wieder zutreffen.

Klein und fein wie alljährlich ist auch die dies-
malige Ausstellung der Peintres et Sculpteurs bei
Georges Petit. Der Präsident dieser Gesellschaft ist
Rodin, und von ihm sind denn auch zwei Arbeiten
da: »die Muse des Bildhauers«, eine Bronzegruppe,
wo man die nackte Muse dem Künstler erscheinen
sieht, und eine Marmorbüste des amerikanischen
Zeitungskönigs Joseph Pulitzer. Beide Arbeiten ge-
hören nicht zum Besten Rodihs, die Gruppe ist etwas
sehr verworren, also daß man Mühe hat, die Arme
und Beine des sitzenden Künstlers und der sich ge-
wissermaßen um seinen Nacken herumwindenden
Muse ordentlich voneinander zu kennen. Außerdem
muß auch bei dieser Arbeit wieder die Manie des
Bildhauers gerügt werden, die Intensität geistiger
Arbeit rein körperlich durch geschwellte Adern und
Muskeln auszudrücken. Der Bizeps hat wirklich nicht
so viel mit geistiger und künstlerischer Arbeit zu tun,
wie uns der Penseur Rodins glauben machen möchte.
Ausgezeichnet ist der Kopf Pulitzers mit den zu-
gekniffenen Augen, weniger dürfte der schwammige
und formlose nackte Oberkörper gefallen, und auch
die stark nach hinten geneigte Haltung der Büste ist
mehr seltsam als schön oder charaktervoll.

Auch das hier gezeigte Damenbildnis von Safgent
wird in dem Werke dieses Meisters keinen hervor-
ragenden Platz einnehmen. In Farbe, die freilich bei
Sargent nie sehr viel bedeutet hat, wie in Haltung
und Zeichnung ist dieses Bild merkwürdig steif,
trocken, blechern, und nur das Gesicht' hebt das
Porträt über die Arbeiten weit weniger begabter
Maler hinaus. Die besten Sachen, die der elegante
und kräftige Porträtist Blanche ausgestellt hat, sind
keine Bildnisse, sondern mehrere ausgezeichnete In-
terieurs und ein entzückend delikat und vornehm ge-
maltes Stilleben: drei Rosen in einer Vase. Besnard
hat eine Leda mit dem Schwan am Ufer eines farbig
beleuchteten Teiches, eine vortreffliche Arbeit, worin
der malerische Geist des Meisterkoloristen hinreißende
Töne findet; aber die andern hier gezeigten Sachen
Besnards bleiben wohl hinter der alten Höhe zurück.
Aber wir wollen aufhören zu nörgeln. Schließlich
ist es allerdings die Schuld der bisher genannten
Künstler: sie haben uns mit früheren ausgezeichneten
und bewundernswerten Arbeiten dermaßen verwöhnt,
daß wir nur noch Werke allerersten Ranges von
 
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