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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Londoner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0265

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507

Londoner Brief

508

Im Brennpunkt des Interesses steht diesmal, und
zwar mit Berechtigung die »Franko-Britische Aus-
stellung«. Abgesehen davon, daß — wie dies leider
üblich geworden — bei Eröffnung nämlich nichts
Vollständiges zu sehen war und für die Kunstabteilung
kein Katalog vorlag, kann nur Rühmliches über die
Ausstellung berichtet werden. Ein Vergleich zwischen
der französischen und englischen Abteilung fällt im
großen und ganzen zugunsten der ersteren aus, trotz-
dem die englischen Museen und Privatpersonen das
Beste aus ihren Sammlungen darliehen, um eine
würdige Vertretung ihres Landes vor Augen zu führen.
In runder Summe betragen die Objekte der Ausstellung
1100, sie geben sowohl eine retrospektive, als auch
eine Übersicht der modernen zeitgenössischen Kunst.
Namentlich in letzterer besitzen die Franzosen den
englischen Künstlern gegenüber zwei wesentliche Vor-
züge, die man kurz dahin zusammenfassen kann: sie
drücken klarer und bestimmter in ihren Werken aus,
was ihre Absicht ist, und während die Engländer
alles daran setzen, um den Eindruck der Fläche
zu bieten, arbeiten ihre französischen Kollegen ziel-
bewußt darauf hin, statt der zwei Dimensionen
uns eine Raumanschauung zu verschaffen. Unter
jenem Defekt leiden nicht nur die sämtlichen Prä-
raffaeliten, die hier einen Saal für sich besitzen, sondern
auch selbständige, keiner Schule angehörende große
Künstler wie zum Beispiel Alma Tadema. Ausge-
nommen hiervon ist von modernen Meistern ersten
Ranges nur Watts, dessen in glühenden tizianischen
Farben gemaltes Bild »Fata Morgana« dramatische
Kraft mit Raumdarstellung verbindet. Das beste und
charaktervollste Porträt Tennysons stammt gleichfalls
von dem genannten Künstler. Monet, Manet, Renoir,
Corot, Courbet, Millet und Harpignies suchen sämt-
lich das sich gestellte Problem zu vereinfachen, aber
nicht in der Manier von Burne-Jones, Morris, Rossetti
oder Blake, die mit der ausgesprochenen Absicht um-
gehen, die Raumwirkung auszuschalten.

Um einige sofort die Aufmerksamkeit fesselnde
Bilder beider Abteilungen der Ausstellung zu er-
wähnen, beginne ich mit den Franzosen. So sind
von Bastien-Lepage zwei berühmte Werke »Ein
Bauernmädchen« und das Bildnis seines Vaters vor-
handen; mehrere schöne Landschaften von Har-
pignies und Cazin, einige gute Porträts von Carolus
Duran, ausgezeichnete Landschaften von Corot und
Troyon, ein großes Bild von Dagnan-Bouveret, zwei
vorzügliche Monets »Heuhaufen« und »Der Tulpen-
garten«, ein Porträt und Stilleben von Manet, ein
schönes Werk von Renoir, eine staunenswerte Porträt-
gruppe von Besnard, ein venezianisches Nachtstück
von Le Sidaner, eine klassische Landschaft von Menard
und eine bretonische Landschaft von Cottet. Aber
vielleicht das beste Landschaftsbild der ganzen Ab-
teilung bildet ein großes Werk von Courbet. Für
London können selbstverständlich die meisten in der
englischen Sektion ausgestellten Gemälde keine be-
sondere Überraschung gewähren, aber auch die Gäste
vom Kontinent werden manchen Bekannten von der
Berliner Ausstellung hier wiederfinden, so unter anderen

Gainsboroughs »Blue Boy«. Außer diesem Werk ist
der Meister noch durch ein Porträt von »Lady Bäte
Dudley« und eine schöne, von Lord Jersey geliehene
Landschaft vertreten. Von Reynolds hebe ich hervor
»Elegant Lady Crosbie«, von Crome eine vorzügliche
Mondscheinlandschaft, von Romney zwei Bildnisse
von »Lady Hamilton«, der Freundin Nelsons und von
Turner »Fischerboote am Seeufer«. Unter den zahl-
reich vorhandenen Werken der Präraffaelitten fällt
sofort Millais' »Herbstblätter«, Burne-Jones' »Goldene
Treppe«, Holman Hunts »Isabella und der Basilikum-
topf«, Walter Cranes »Geburt der Venus« und von
Morris »Königin Guenevere« in die Augen. Wie
es kaum anders erwartet werden konnte, fehlt kein
bedeutender Künstler unserer Zeit. Sargent stellte
zwei seiner großen Porträtgruppen aus, J. J. Shannon
ein Porträt von »Phil May« und neben vielen ande-
ren beliebten Malern sind auch die Arbeiten von Sir
George Reid, Brangwyn, W. Russell und Orchardson
nicht zu übersehen. Ein unterscheidendes Merkmal
beider Abteilungen bildet endlich noch die Tatsache,
daß die Engländer viel weiter in den Kunstepochen
ihres Landes zurückgegriffen haben, bei den Franzosen
dagegen das moderne Element unzweifelhaft vorwiegt.

Noch in keinem Jahre ist so viel in England ge-
schaffen wie 1908. Der Akademie wurden für ihre
Ausstellung ca. 12000 Werke eingesandt und doch
vermag sie mit Mühe und Not nur etwa 2000 zu
placieren. Unter diesen sind ja Hunderte von guten
Arbeiten, aber die meisten davon haben uns doch
eigentlich nichts Besonderes oder Neues zu sagen.
Porträts und Landschaften bilden den Kern des Sehens-
werten, dagegen ist das Genrebild mehr und mehr
im Verschwinden begriffen. Unbedingt ist als das
sogenannte Jahresgemälde ein umfangreiches Werk
von Hubert Herkomer, zwölf Personen, die »Hänge-
kommission« darstellend, zu betrachten. Charakter-
köpfe finden sich unter diesen Kunstrichtern, die ge-
schickt gruppiert wurden und in deren Zügen sich
entweder die Meinung für Annahme oder Ablehnung
eines ' zur Prüfung eingesandten Bildes erkennen
läßt. Selbstverständlich hat man sich ein Prüfungs-
objekt zu denken, ein solches ist nicht etwa
auf dem Gruppengemälde selbst ersichtlich darge-
stellt. Alles in allem haben wir ein gewaltiges, lebens-
volles Werk vor uns, das als eine Art von verbessertem
Pendant zu einem früheren Gemälde des Meisters
gelten kann, in welchem er den Stadtrat seines Heimats-
ortes darstellte. Unter den lebensgroßen Figuren der
Gruppe bemerkt man das Selbstporträt des Künstlers,
und ich nenne von den zwölf akademischen Richtern
noch den Präsidenten, der ein »D« in der Hand hält,
um eventuell ein Werk mit »doubtful«, zweifelhaft«
zu bezeichnen. Außer Sir E. Poynter sind als charak-
teristische Figuren noch Sargent, Swan, Solomon,
Briton Riviere und Ouless erkennbar. Herkomer
hat dann noch ein höchst eigenartiges Porträt des
Bischofs von London, Winnington Ingram, gesandt,
das zwar vom künstlerischen Standpunkt untadelhaft,
vom rein menschlichen dagegen wenig anziehend
erscheint. — Sargent beschickte die Ausstellung mit
 
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