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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

DOI Artikel:
St. Petersburger Brief, [3]
DOI Artikel:
Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0292

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Londoner Brief

562

recht gut waren die Innenansichten vom Schloß
Archangelskoje, das dem Fürsten Jussupow gehört,
von A. Sredin, denen man nur etwas mehr kolo-
ristisches Temperament gewünscht hätte. Was hier
mangelte, war im Überflusse bei Milioti vorhanden,
dessen Farbenverschwendung ohne Ziel und Zweck
nur Kopfschütteln erregen kann; in unmotivierter
Buntheit kann es mit ihm allenfalls noch Tarchow
aufnehmen. Daß man farbige Probleme mit mo-
dernem Pinsel und doch mit gesundem Menschen-
verstände anfassen kann, hätten die Herren bei Igor
Grabar lernen können, der vier Stilleben ausgestellt
hatte. Von ihnen erschienen die Studien in leuchten-
dem Blau, das »Blaue Tischtuch« und »Auf blauem
Grunde«, außerordentlich gelungen. Der Gesamt-
eindruck der Ausstellung des Künstlerbundes war ein
durchaus befriedigender und sie hat, bei allen berech-
tigten Einwänden im Einzelnen, auch von allen Seiten
volle Anerkennung gefunden. Aufs Neue ist das
Vertrauen gefestigt, daß eine gedeihliche Entwicklung
der russischen Kunst an die Existenz dieser unserer
frischesten und kräftigsten Organisation geknüpft
bleiben wird. Neben ihr kam an künstlerischer Be-
deutung für Kritik und Publikum noch die posthume
Ausstellung von Werken Viktor Borissow-Mussätows
in Betracht. Dieser jungverstorbene Künstler war
seinem malerischen Temperament nach Ludwig
von Hofmann verwandt. Daß seine ganze Arbeit auf
einen dekorativen Freskostil abzielte, konnte erst auf
dieser Ausstellung klar erkannt werden, wo man sie
im Zusammenhang überschauen konnte. Seine Emp-
findungsart war durchaus russisch, woher denn auch
seine Formensprache aus spezifisch russischen Vor-
stellungskreisen erwuchs. Unter diesen Voraus-
setzungen ist es kaum möglich über seine Werke im
Einzelnen mit knappen Worten vor einem ausländi-
schen Leserkreise zu sprechen, was bei Gelegenheit
an anderer Stelle in ausführlicher Weise geschehen
müßte.

Als Satyrspiel folgte am Schlüsse der Saison die
Ausstellung »Der Kranz« (Wenök). Hier hatte man
sich die Aufgabe gestellt, der Ausstellung eine ge-
schlossene Physiognomie um jeden Preis zu geben
und an ihr möglichst viele unentdeckte Künstler,
d. h. solche, die noch nirgends ausgestellt hatten,
teilnehmen zu lassen. Beides war den Veranstaltern,
von denen Alexander Gausch und Sergei Makowski
in erster Linie zu nennen sind, vollständig geglückt.
Der Erfolg der Ausstellung wird aber durch diese An-
strengungen durchaus nicht garantiert. Zwar brauchte
man nicht mit dem Kritiker einer unserer deutschen
Zeitungen übereinzustimmen, der sein Feuilleton über
den Wenok lapidar »Die Ausstellung der tollen Heringe«
überschrieb, doch muß man allen Ernstes die Nütz-
lichkeit solcher Neulingsausstellungen sehr bezweifeln.
Das Gebotene zeugte, soweit ganz unedierte Kräfte
in Betracht zu ziehen sind, von der durchgehenden
Verwechselung von guten Einfällen mit künstlerischer
Originalität. Die guten Absichten der Veranstalter
werden dadurch böse gekreuzt und weder der Kunst
noch dem Geschmack wird durch die Protegierung

künstlerisch und technisch unreifer Stücke gedient.
Wenn nebulose Verschwommenheit allein für Stim-
mungsmalerei genommen werden soll und augen-
schmerzliche Buntheit für Kolorismus, wenn aus den
Prinzipien des Pointiiiismus eine willkürliche Häufung
von Farbenflecken abgeleitet wird, so kann man aus
solchen Elaboraten keine »Sehens«würdigkeit machen,
was doch das Ziel jeder Ausstellung ist. Wenn die
Ausstellung nur ein bedeutenderes Talent hätte ent-
decken lassen! Bei ihrer faktischen Zusammenstellung
hätte man den Exponenten nur den Rat zu geben gehabt,
abwarten und ausreifen lassen, den Veranstaltern aber:
nicht unreife Kräfte vorzeitig ans Licht zerren, umso-
mehr als sie mit der Jury recht rigoros zugunsten
der Einheitlichkeit vorgegangen zu sein scheinen. Den
Teilnehmern von grüner Jugend eine Prognose ihrer
Zukunft zu stellen, ist natürlich unmöglich, konnte man
doch bei ihnen allen von einem durchbrennenden Radi-
kalismus sprechen. Auch dürfte die Nachbarschaft zweier
älterer Künstler manchen der Unentdeckten zu eigen-
sinnigem Beharren bei seiner jetzigen Weise veran-
lassen. Migliotti befleißigt sich einer systematischen Ver-
gewaltigung der Farbe und Form in angeblich poin-
tillistischem Sinne, die durch keine l'art pour l'art
Theorie und kein »Wie ich es sehe« zu rechtfertigen
ist; von seinen neuen Stücken erweckten nur die In-
teresse, wo er seinen Prinzipien untreu wurde und
z. B. einen mehr oder minder naturalistischen Akt
gab. Anisfeld arbeitet technisch ernsthafter, jedoch
schweift sein erfindender Verstand, wohlbemerkt nicht
seine Phantasie, ganz horrend aus. In seinen »Blauen
Statuen« gibt er einen Park im Stile Louis XIV. mit
orange-rotem Laub, von dem sich Statuen von kraß-
blauer Farbe (Komplementarwirkung?) abheben; da-
zwischen ein auf Fernwirkung vortrefflich gemalter
Springbrunnen und ein paar plastisch gedachte aber
kaum wahrnehmbare Frauengestalten. Wozu der
Lärm?

Als Gesamtergebnis der" ungewöhnlich reichen
Saison kann man die fortschreitende Stagnation der
alten Organisationen, ein Abflauen der jüngeren Kreise
und die gedeihliche Entwickelung des Künstlerbundes
zusammenfassen. Nach den Jahren des Werdens und
Gährens und der schärfsten Anfeindungen hat diese
unsere lebensfähigste Künstlervereinigung sich die
führende Stellung zu erobern vermocht. Die Position
der russischen Kunst ist von ihrem weiteren Gange
abhängig, und da darf man nach den Erfahrungen
dieses Jahres beruhigt in die Zukunft schauen.

—chm—

LONDONER BRIEF

(Schluß aus Nr. 2g)

Schließlich noch ein Wort über die zur Besich-
tigung ungünstig aufgestellten Skulpturen. Zum zweiten
Male hat ein verhältnismäßig junger, australischer Künst-
ler, Bertram Mackennal, den offiziellen Preis für Bild-
hauerarbeiten errungen, und zwar wurde im vorigen
Jahre seine Gruppe »Die Erde und die Elemente«,
diesmal seine »Diana« für 20000 Mark von der Aka-
demie angekauft. Ein anderes aufstrebendes Talent
 
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