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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 1 (Oktoberheft 1929)
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die allzusehr Nachahmung findet. Es ist
gewlß kein Zufalh daß seine Plakat-
malerei — dle eme Aqnarellhandfchrifk
>st — sich mit der amerikanifchen berührt,
und daß er auch für Amerika gearbeitet
hat, das über das veristifche Aquarell-
bild fchwer hinauskommt und zumelst
Bild und Plakat verwechselt. Beachtens-
wert lst nur der gefühlvolle „Seelenton"
dieser Werbekunst, die aus der Käufer-
psychologie heraus das tonige, süßliche
Aquarell bevorzugt, das kühler, aber aka-
demifcher auch in Spanien erfcheint. Sind
Prognosen erlaubt, so wird meines Erach-
tens Amerika, daü sich eben modernstem
Kunstgewerbe ösfnet, bald andere Wege
einfchlagen und den Schauwert fernwir-
kender Lokalfarben benützen, der in Groß-
ftädten durch das Tempo der Verkehrö-
technik bedingt wird. Berlin, Deutfchlauds
Großftadt, hat in wenigen Jahren einen
eigenen künstlerifchen Plakatftil entwickelt,
der das sogenannte Sach-Plakat ermög-
lichte und zugleich den ftenographifchen
Kunftwert der Werbung zum Signet er-
hebt. Bernhard, Erdt, Gipkens, Klinger,
Deutfch, Scheurich sind bekannte Bertre-
ter dieses Stils, der fchon überall in
Deutfchland weiterwirkt und dessen Künft-
ler sich deshalb kaum lokalisieren lassen.
Jch nenne nur: Petzold, Hesse, Stern,
Kuch,Herrkensell,Mahlau, Körner, Henze,
Riemer, und weiß wohl, daß noch man-
cher zu nennen wäre. Daß die graphi-
fche und farbige Abstraktion deü Ex-
pressionismus dem deutfchen Plakatstil
tresfliche Pionierarbeit geleistet hat, ift
außer Zweifel. Wie nahe Gebrauchs-
Graphik und Plakat-Graphik sich berüh-
ren, beweist die kleine Sonderausstellung
der bayrifchen Gruppe des Bundes deut-
scher Gebrauchsgraphiker.

Dem neuen deutfchen Plakat ftehen das
französifche und belgifche Plakat nahe.
Leichter, befchwingter, geiftreicher ift die
französische Plakatkunft eines Cassandre,
Sepo, Loupot, Rabajoit, elegant und
sicher, eine eigene Sprache, so daß die
alte Höhe französifcher Werbekunft cr-
reicht zu sein fcheint, während Belgien,
besonders in Marfurt, deutfchem Plakat-
stil näherkommt. Die bekannten, belieb-
ten Schweizer Plakate sind monumental,
farbig, plaftifch, von eigener Werbekraft
und teilweise, wie die von Fontanet, Lou-
pet u. a., hervorragend gut. Die öster-
reichifchen Plakate verraten in bunter
Stilisierung die bekannte kunftgewerbliche

Note des Wiener Stiles in guten Lösun-
gen von Klinger, Neumann, Otto, Bin-
der, Grießler. Auch Polcn nähert sich dem
buntabftrakten Dekorationsftil, während
Jtalien eine kalte gesuchte Stilisierung
bevorzugt oder ins Bildhafte wie Eng-
land ablenkt, das ins Niedliche, Süße,
Langweilige ftrebt, wenn auch AuSnah-
men (wie Purvis) erfreulich sind. Däne-
mark hat ruhige graphifche Blätter, die
mit bunter Kolorierung an Bucheinbände
erinnern, zuweilen aber gute Einfälle
(Elinor) bringen. Rußland enttäufcht
durch die Mifchung von Typographifchem
und Naturaliftisthem, die nie gut oder
überzeugend wirkt. Die Neigung zur
Photomontage ift typisch für diesen tech-
nifchen Mifchftil. Daß die technifchen
Stile, wie die der Zeichnung, des Aqua-
rells, des Holzfchnitts, der Photographie,
sehr entscheidend die Stilbildung beein-
flussen, ift selbftverftändlich, doch erfchei-
nen die ftilistifchen Möglichkeiten kaum
ausgenutzt. Dies aber wird klar: der
Kampf zwifchen Naturalismus und Stil,
zwifchen Technik und Phantasie, zwischen
Sache und Kunst ift in vollem Gang.
Der Weg zum Schlichten, Strengen, Mo-
numentalen, Code-artigen liegt offen. Bei
der Werbekunft geht es wie bei jeder
Zweckkunft nicht zuerft um die Kunft. Auch
hier gilt der Satz: „IVon vox osnentis,
8eck vorbs plgeesnt." Der Zweck wählt
und heiligt die Mittel. Und noch etwas
sei beachtet: es gibt nicht nur National-
und Orts-Dialckke, sondern auch Werbe-
Dialekte der internakionalen Plakatkunft.
Es gibt nicht nur Großftadt-, Kleinftadt-,
Landplakate, Fernplakate, Nahplakate, es
gibt alles nebcneinander. Es gibt vov
allem Plakate für die Großftadt, für das
Borbeifahren und Dorbeisehen, für das
motorifche Berkehrswesen beftimmt. Jch
nenne diese Art M o m e n t p I a k a t e.
Sie müssen farblaut, textarm, eindring-
lich, fchnellbegreiflich, groß und klar scin.
Es gibt aber auch statifche, textreiche,
farbleise Plakate, die als Einzel- wie als
Reihenplakat im Gehen und Stehen als
Nahplakate gelesen werden. Jch nenne
diese Art Bildplakate. Sie vor al-
lem werden der neuen Kundenpsychologie
dienen mit ihren Assoziationen und Un-
terbewußtseinöreizen, die der Reklame
mnemotechnifche Gefühlsreize geben. Ein-
zelzweck und Einzelfall, WirkungSort und
Wirkungsweite, Werbart und Werbwert
entfcheiden Stil, 2lrt, Format und Wesen

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