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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 3 (Dezemberheft 1929)
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Rang, Bernhard: Volk und Volksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0176

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Programm-Sätze aufmerksam machen. Worauf es sowohl in der Theorie als
auch in der Praxis ankommk, ist doch vor allem das Bemühen, die Wirklichkeik
des Lebens, die realen Vorgänge und Zustände unserer Zeit deuklicher, als es
das Bewußksem des Einzelmenfchen zumeifk erlaubk, zu erkennen und fefkzu-
halken. Auch die einen nmen Ordnungszuskand ersehnende und erfkrebende
Volksbildung wird fchon darin ihr wirklich begründekes Arbeiksziel finden, daß
sie die crnfke Lage, in der wir leben, uns so konkret nnd unverfchleierk wie mög-
lich deuklich machk.

Wenn wir versuchen, in die fchwierigen Beziehungen von Bolk und Volksbil-
dung einzudringen, so wird uns bei der Formulierung Volksbildung gleich
Bolk-Bildung sofort die Duplizikäk des Bildungsbegriffes klar. Auf diese
doppelke Sprachdeukung macht bereiks Goethe aufmerksam: „Bekrachken wir
alle Gcstalken, so finden wir, daß nirgend ein Bestehendes, nirgend cin Nnhen-
des, ein Abgefchlossenes vorkommk, sondern daß vielmehr alles in einer fkeken
Bewegung fchwanke. Daher unsere Sprache das Work Bildung sowohl von
dem Hervorgebrachken, als von dem Hervorgebrachk Werdenden gehörig genug
zu brauchen pflegk." Es ifk das gleiche, worauf sein vielzikierkes Work von der
geprägken Form, die lebend sich enkwickelk, zu zielen fcheink. 2luch für uns ist
sede geifkige Bildung ein Gefkalkwerden, cine innere (und äußere) Formnng,
deren Bestand aber nichk in sich selbfk ruhk, darum also durchaus und nokwendig
dem Verfall ausgesetzk ist. Wir dürfcn aber weiker fragen, welches denn der
gestalk-wirkende innere Ankrieb sei, ob ekwa der Geifk den alleinigen oder enk-
fcheidenden Bildungsfakkor darfkellk? Dic Gefchichke der Bildung mit ihren
realen und soziologifchen Voraussctzungen ifk noch nichk genügend nnkersuchk,
um hier cin klares Bild geben zu können. Ganz gewiß ifk die Rakio nur ein
zu einem begrenzken Teil mitwirkender Bildungsfakkor. Die llrsprünge der
Gemeinfchaftsbildung — im Grunde ist ja der Begrist der Bildung sozial
und nichk individuell zu verfkehen — weisen auf tiefere Ouellcn. Wo immer,
wie ekwa im Ilrchrifkenkum, Gemeinfchaften neu enkfkanden, enkftanden sic, wie
Alois Dempf in seinem bedeuksamen Buch „kiacrum imporium" (R. Olden-
bourg) nachweifk, aus der charismakifchen Leikung der Volksversammlnng, aus
der Znspirakion der verankworklichen Führer, also durch jeden einzelnen, der
beruferi war und dem inneren Rufe Folge leiften konnte. Die Führer des
Bolkeö hoben sich auf Grund einer östenklich anerkannken Gemeinfchafks- und
Standosbildung aus der Volksmasse heraus. Daß diese Menfchen der Be-
rufung — die Vorgänger unsercr heukigen bloßen „Bernfsmenfchen" — sich
als Repräsenkanken eines über-menfchlichen, götklichen Willens in ihrem Amk
als Workführer der Gemein>chafk wußten, dieser religiöse llrsprung jeder
Gemeinfchafkssetzung isi von uns faft ganz vergessen. Seine „bildende" Bcdeu-
tung bleibk dennoch unzerstörk. Und so gewiunk anch heute gerade vom Neligösen
her die Volksbildungsbewcgnng neue und wesenkliche Kräfke. Ebensosehr ist
die Bedeukung der „ÖstenklichkeiL" des Gemeinfchafkslebens heuke verblaßk.
Alles und jedes wird zwar in unserer Zeik, seik der Erfindung der Buchdrucker-
kunfk, „veröffenklichk"; aber unker dem bekäubenden Lärm der sich überfchreienden
Skimmen hörk eigentlich niemand mchr zu, wo inuner anch ein für die Gemein-
fchafk enkfcheidend ernstes Work gesagk wird. Die äußere Llngleichung der
Menfchen verdeckt die ofk abgrundkiefe Verfchiedcnheik, die in einer Großstadk
 
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