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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 5 (Februar 1930)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Der Mensch des Monumentalstils
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0335

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dresem ihrem veränderten Körpererleben enLwerfen, erinnern mehr als clnmal
an künstlerische Menschenzerlegungen, wie wir sie von Picasso, von Chagall
nnd anderen her kennen. Wir sind hier in dem Felde jener wesensmäßigen
Beziehungen zwischen moderner Kunst und schizoidem WelLgefühl, dic Hans
Prinzhorn in seinem Buche „Bildnerei der Geisteskranken" umschrieben hat.
Die Meskalinpsychosc hak mik schizoiden Zuständen eine so weitgehende Ähn-
lichkeiL, daß man ihr visionäres MaLerial ohne wei'Leres im selben Sinne
gegenüber der Kunst verwerLcn kann wie das schizophrene.

Fch gebe zum Thcma „MonumenkaliLäL" noch ein leHLes Bild aus den Mes-
kalinvisionen. Dieselbe Versuchsperson, die im Nausch ihre Beziehung zu
mexikanischen VorelLern cnLdeckL, komrnt zu einer ungemein eindrucksvollen
Innenschau, in der der monumenLale Zug stark hervorLriLL. Sie fühlk zunächst
eine ungeheure, eine „weltalchafLe" Kälte strahlend den Körper durchrinnen.
Es ist jene KälLe, die sich auch bei Haschisch- und KokainvergifLungen cin-
stellt. Diese KälLe durchdringk in ihren ungeheuren Sensationen den ganzen
Körpcr und wird alsbald auch geistig bedeutsam, entsprechend dem zwang-
haften Symbolismus, der das Meskalinerleben beherrschL.

So bedeutet diese weltallhafLe Kälke nicht nur eine körpcrliche Sensation,
sondern soforL auch eine wichtige GegebenheiL der geistigen Selbstempfindung,
einen FakLor im inneren Wesensbau, cine Kraft im Charakter. Zugleich ge-
sellL sich zu dicser Kälte-Empfindung eine nngeheure elektrische Durchwirkung,
das Gefühl, an eine HunderLLauscnd-VolL-Leitung angeschlossen zu sein, und
anch dieses Gefühl enLfaltek sofork geistig-charakkerologische Bezüge. Die Ver-
suchsperson nokierk sich rasch dcn Ausruf: „All meinc Lieblinge Eis und Elek-
LriziLäk!" und fährL dann forL: „Nun begann cins der ernsthaftesten und er-
schüLLerndsten Erlebnisse meines Lebens. Ich LraL meinem Charakterbild in
stundenlanger, cindringlicher Zwiesprache gegenübcr. Eis und ElektriziLäL, in
ertremster Wcise meinen Zustand bestimmcnd, begannen sich als bestimmte (hier
nichk weiter zu erörkernde) Beziehungen zu meinem bishcrigen Leben zu offen-
barcn, als sinnvolle Formeln, die miL erschüLLernder Klarheik auf GrnndkräfLe
meines Daseins wiesen. SchritL für SchriLL ordnetcn sich Lauscndfache 2lb-
neigungcn und Vorlieben mik den grundlegenden EigenschafLen zu typischen
Bildcrn (keine visuellen Bilder) von gcradezu ägyptischer MonnmenLalikäk,
d. h. ohne DeLails ganz in ungcheurcn Flächen und maßlos harkcn Konkurcn."

Ich habe dicse Stelle vornehmlich wegen der leHten WorLe angcführk. In
ihnen springL heiß und unmiLLelbar, wie dampfende Quellen auo Erdkiefen,
cin monumcnLal geprägkes Grundgefühl hervor. Es ist hicr losgelöst von jeder
Makerie, die für die Kunst oder für ein Gestalken in Frage käme, cs ist nichL
einmal an eine bildhafke Vorstcllung gebundcn, ep ist ein rcines Wie des Sc-
hens, des Empfindens. 2lber als dieses „Wie" ist ep so unzweidcukig auf das
Monunienkale bezogcn, daß es miL eincm Schlage die MöglichkeiL, ja den Zwang
zn jeder denkbaren Monumcnkalstilisierung dicht vor unserc 2lugm rückt.

Wir rekonstruieren Bauwerke der Vorzeit, dercn Sockel wir in den Llrwäldern
Mittelamerikas ausgegrabcn habcn. Wolltcn wir die Völkerseelen rckon-
Itruicren, aus dcnen diese Bauwcrke hervorgegangcn sind, so müßkeii wir in
sie die Gefühlc, dic Stimmungen, die ErschüLterungen einseHen, die in den
2liifzeichiiinigen der Heidelbergcr Versnchspcrsonen hervorgetreken sind. Sie
 
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