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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 6 (März 1930)
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Heiseler, Henry von: Marginalien
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0442

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soweit diese künstlcrisch nokwendig ist, schon im Rhychmus der Sprache und
Pantomime enthalken ist. Diesen „Rhychmns der Sprache und Pantomime"
hat dcr Schauspieler zu crlauschen nnd wiederzugeben. Ein solcher Schauspie-
ler ist der größte — so war Mitterwurzer. 2luch hcute gibt es derartige
Künstler. 2lber selbst Schauspieler von starker künstlerischer Pokenz zerstören
oft durch Nnchdenken uud Psychologie das Merk des Dichkers.

VII.

Ich schrieb nculich, es gebe weder irreligiöse Künstlcr, noch Akheisten uuter den
wahren Künstlern. Jch kenne wirklich keine solchen, ich mag nüch umsehen,
so viel ich will. Es kann einer wohl böse Bemerkungen Lber Gotk und Kirche,
Jslam oder Christenkum machen, ohne darum wirklich irrcligiös zu sein. Wenn
man genauer zusiehk, wird man enkdecken, daß im Fall einer solchen „Ver-
spokkung" nie Gokk selbst oder Kirche usw. verspokkek werdcn, sondern die fal-
schen Vorstellungen davon in den Köpfen dcr Menschen, ein falscher Gokk,
ein falscher Glaube, cin falsches Dogma. Man mag Heinc als Gegenbei-
spicl anführen, aber ersiens ist Heine weik mehr Iournalist als Künstlcr und
zweikens sollen mir seine Jrreligiosikäk oder sein Akheismus erst uoch Lewiesen
werden. Ich glaube nichk daran... und uiemand kann daran glauben, der
seine Schrifken kennk. Der berühmkc „Akheist" Shelley? aber wer kann noch
daran zweifeln, daß dieser „Akheismus" nur ciu Mißverständnis ist? Volkaire
ist alles anderc als ein schöpferischer Künstler. Man nenne mir einen atheisti-
schen Künstler, und ich will beweisen, daß er cnkweder kein wahrer Akheist, oder
kein wahrer Künstler ist. Wahre Künstlerschaft und Atheismus sind so un-
vereinbar wie Feuer und Wasser: sie müssen einander mik Nokwendigkeik ge-
genseikig vernichken. Zwei Dinge aber, die einander gegenseitig aufheben, kön-
nen nicht mikeinander beftchcn und ein Ganzes bilden.

VIII.

Dcr Kouflikt zwischen 2icbe und Ehe wird in sast allen epistierenden Dramen
und Romaucn, die diescs Thcma behandeln, zu keiner befriedigendcn Lösung
gcführk. Die Fckage mird fast überall falsch gestellt, und es wunderk mich, daß,
sovicl ich kveiß, noch niemand dies bemerkt hak. Hier werden nämlich als kämp-
fend einander gegenübergestellk cinerseiks die Liebe, die kosmische Elementar-
kraft — anderersciks die Ehe, die soziale Instikukivn. Soziale Inftikukionen

haben aber nichks nük der Poesie zu fchaffen, darum ist grade dieses der Punkk,

an dem jene Werke scheikern müssen. Der dramakisch ofk behandelte Skreik
zwischen Kaiserkum und Papstkum ist ein ähnlicher Fall, Kaiserkum und Papst-
tum geheu dic Poesie rüchks an, und schon in der Wahl eines solcheu Skoffes
liegk dic llrsache des notwendigen Mißlingens. Mir ist keine Dichkung be-

kannt, iu der Liebe und Ehe einander als gleichbcrcchkigke kosmische Kräfke gegen-

überstehen. Daß die Ehe nebenbei eine soziale Instikukion ist, das darf die
Poesie nichk kümmcrn. Aber die Ehe ist ein Mysteri'um. Mysterinni gegen
Mysterium — so muß der Konflikk gefaßk wcrden, wenn er dichkerisch inker-
essiercn und dichkerisch und philosophisch gelöst werden soll. llns beirrk die
herrschende oberflächliche staakswissenschafkliche Anfchauung der Ehe, nnd vor
allem davon müssen wir uns befreien. Daß auch Goekhe in den „Wahlver-
 
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