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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 6 (März 1930)
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Heiseler, Henry von: Marginalien
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0443

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wandkschaften" an diesem KonflikL vorübergegangen isi, isi aus seiner Wesens-
arL heraus begreiflich — der KonflikL isi einer der tragifchsien, die cs gibt,
und Goethe ging dem Tragifchen überall gern aus dem Wege. Hier ist ein
unberührter tragifcher Skoff für einen großen Lragifchcn Dichker.

IX.

Schillers DichLungen sind cine ZeiLlang auch von den Wissenden heftig über-
fchäht worden, um dann wieder cine ZeiLlang ebenso heftig unterfchäHL ;u wer-
den. N'ur das Volk und die Jugend sind ihnen unveränderlich Lreu geblieben.
MiL RechL, glaube ich.

Die Mißachtung Schillers entspringL im wesentlichen aus dem Ilmsiand, daß
man an die Schillerfchen Gesialken den psychologifchen Maßsiab anlegk, wo-
bei man dann entdeckt, daß sic dies nicht vertragen. Mit welchem Rechk bc-
nuHL man aber grade diesen Maßsiab? wenn man siehk, daß die Gesialten
Shakespeares, GoeLhes, Kleisis, HaupLmanns dabei besiehen können, so folgt
daraus nicht, daß man dieselbe Forderung auch an die GesialLen Schillers
siellen dürfe. Hier herrfchk das alte Mißversiändnis: die Gegncr des DichLers
bemühen sich nicht darum, das innere GeseH sciner DichLungen aufzusuchen,
sondern sie wollen sie unter willkürlich von außen her genommene Gesetze
zwingen.

Es isi wahr, Psychologie läßt sich auf Wallensiein, Max, Elisabeth, Maria,
Ferdinand, Luise, Wurm, Tell und alle die anderen nicht anwenden. OLLo
Ludwigs bekannte Einwände sind unwiderlegli'ch. Die moralifche FeigheiL des
Wallenstein und des Max, die NiederLrachL der Elisabekh, das ganze Heer
der psychologifchen WidersinnigkeiLen — das ergibL einen Haufen von Kiesel-
sieinen, mit denen man nichk nur den einen, sondcrn einige hundert Schillers
zu Tode sieinigen könnte. Zm ThcaLer aber werden diese Steine leichter als
Flaum, wir stehen dort vor der Wirkung und dem Eindruck der Schiller-
fchen GedichLe, davor sich jeder Widerspruch in nichks auflösi.

Alle DichLkunsi beruhk auf der Sprache, ja, sie i si Sprachc. Das Drama
aber ist nicht nur Sprache, sondern zuglcich PanLonüme. Wir wissen genau,
was es heißt, wenn wir von der reinen, der absoluten Musik sprechen im Ge-
gensaH zu jeder andern ArL von Musik. Mir fcheink, die Erklärung der
Wirkung von Schillers Drama liegt darin, daß es sozusagen fasi reine
PanLomime ist. Schillers Drama isi so sehr PanLomime wie kanm ein an-
deres. PanLomime wirkt nnmiLLelbar und darum isi die Wirkung so
siark. UnmiLLelbare Wirkung bedeutek aber nicht unkünsilerifche Wirkung.
Es isi ein Jrrtum, wenn man die Wirkuug von Oper und BalleLL als sioff-
lich bezeichneL — sie isi nicht siofflich, sondern unmiLLelbar. (Was man
sioffliche Wirkung nennk, isi überhanpk oft nicht ein Fehler des Kunsiwerks,
sondern ein Mmigel in der Seele des Empfangenden.)

Alle Kunsi ist seelifche Bewegung, hervorgerufen durch die MitLel der be-

Lreffenden Kunst. (Die DefiniLion isi nicht genau, ich weiß es. Es solltc besser

heißen: Die von derKunsi ausgeübke Wirkung isiseelifche Bewegung... usw.

Seelifche Bewegung, hervorgerufen

durch Sprache: Lyrik und Epos,

durch Sprache und PanLomime: Drama,

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