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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI issue:
Heft 6 (März 1930)
DOI article:
Alverdes, Paul: Neue Bücher vom Krieg, 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0452

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sicht bescheiden hat er ein Buch geschrieben, das inan zu den tvertvollsten seiner
Gattung rechnen darf. Er lärmt nicht und lamentiert nlcht; ztvar, selne Sprache,
von Hause nicht reich, ist sparsam, seine Syntar ist eintönig, und von Menschen-
gestalten, wi'e bei den mei'sten dieser Schri'ften, tvird nur di'e ei'gene ei'gentlich
si'chtbar. Nicht als ob si'e in den Bordergrund geschoben oder sonstwie auf
eine eitle und prahlerische Art von ihr die Rede wäre; sondern sie wird durch
die Gesinnung deutlich, die daS ganze Buch bestimmt, und durch das Leiden,
Verharren und Einsetzen der eigenen Person, von dem mit bescheidenem Freimut
berichtet wird. Wo sie Kritik ubt und Anklagen erhebt, tut sie eS mit Gründen
und Bedacht. Von der für den Gesamtorgani'smus einer Armee so todesgefährlichen
Kluft zwischen Offizieren und Untergebenen etwa, von der immer bedcnklicheren
Entfernung und Entfremdung zwischen Fechtern und rückwärts Befehlenden haben
inzwischen nicht nur die Freiwilligen und die LeutnantS berichtet, wie sich denn
überhanpt das Bild immer entschiedener klären will. Es mehren sich die Beispiele,
daß sich die Klagen und die Bitterkei'ten der einzelnen in den neueren Gesamt-
, darstellungen auch von keineswegs voreingenommenen Verfassern zu Anklagen
und Verurteilungen verdichten; worauf noch zurückzukommen ist.

Besonderö gelungen ist Heinz die Schilderung des großen Angriffes der jungen
Kitchener-Armse bei Loos im Herbst igiZ- Er stellt sich als eine Art von dilettan-
tischem Kommiß-Spaziergang dar, der fürchterlich bezahlt werden mußte. Das
gleiche muß nach Heinz für den unmittelbar folgenden deutschen Gegenangri'ff
gelten. Am Ende ist der Verfasser, wie so viele Redliche und Getreue von seines-
gleichen, verbittert und ratlos. Es hat nicht anders sein können.

Was hier über den Dortrag und die Gesinnung angedeutet wurde, gilt ganz
allgemein für eine ganze Reihe jener von tapferen und gehorsamen Soldaten
geschriebenen Bücher, deren Stil nicht musterhaft und deren Deutsch zuweilen
sogar mangelhaft ist. Sie vermögen zu fesseln, wie die mündliche, meinetwegen
rohe oder stammelnde Erzählung jemandes, der Außergewöhnliches erlebte, eben
schon um ihrer epischen Substanz willen immer fesseln wird. Zuweilen gelingt es
ihnen dann ganz von selber, den Leser zu einer Art von Rekonstruktion dessen
zu bringen, was nicht ohne weitereö herauSzuhören oder zu lesen ist. Man darf
dabei aber nicht verschweigen, daß die so entstehenden Bilder zwar lebhaft,
aber verschwommen sind. Jch nehme eine beliebigc Stelle auS Erwin Zindlers:
„Auf Biegen und Brechen", das im übri'gen jeder Mitkämpfer mit der beweg-
testen Anteilnahme lesen wird, vielleicht gerade, weil es mit seiner unbekümmer-
ten Frische die eigene Erinnerung mächtig herausfordert:

„Oer dcitte Schuß! Raus!!....

Dorn flogen die Fetzcn. . .

Erledigt.

Da rechtS noch cin Tank!

Größere Entfernung!

Rum das Geschütz.

Der crste licgt genau Strich. Der ziveite drin.

Riesige Erplosion. Stichflamme. Erledigt." (Selte 2z8.)

Nehme man es nicht für Schulfuchserei, wenn ich sage, daß bei dieser Art vorzu-
tragen hundert Leser hundert verschiedene Bilder sehen werden und keiner eineö
klar und unvergeßlich. Es wird gewissermaßen über eine ganze Skala von Tönen
hinweggestrichen, einige davon behält der Leser, andere nicht, je nach seinem Ohr
oder seiner Gemütsart, unklare Vorstellungen drängen sich herzu und vergehen
ebensv geschwinde wieder, übrig bleibt nichts, weil nie etwaö wirklich dagewesen ist;
die Welt ist nicht um ein Gebilde bereichert, sondern nur um einen schwankenden
Reiz. Jch setze einen anderen Passus aus einem anderen Kriegsbuch hierher, um

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