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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1913)
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Schmidt, Georg: Wandern und Vaterlandsliebe
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0039

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S

Wandern und Vaterlandsliebe

echs Mann hoch waren wir aus den Thüringer Bergen hinab--
gestiegen durch Sachsen und Brandenburg und über Berlin hin--
aus. Wir wollten zum Meere, zu Fuß nach Greifswald. Irn
fruchtbaren Pommern hatten wir auf einem großen Gute Bleibe ge-
funden. Gs war an einem Sonnabend. Nnd wie der helle weiche
Sommerabend leis die korngefüllten Scheuern zudeckt, und wie wir
wandermüde die Nagelstiefel ausziehen, da kommen in kleinen Gruppen
über den weiten Hof die Tagelöhner zur Lohnauszahlung. Im Flur
gerad vor uns sitzt der Verwalter mit seinen Büchern und Zetteln, neben
ihm die Vorschnitter. Die Leute werden vorgerufen und erhalten ihr
Geld. Grst ein paar Deutsche, nnd dann Polen urch immer wieder
Polen. Wir wollen gerad auf unser Lager steigen, da hören wir draußen
Schimpfen und Fluchen. Da glaubt einer den Akkordlohn nicht richtig
bekommen zu haben und redet nun los in einer fremden, nns unver-
ständlichen Sprache.

„Kinnings, was haben wir jetzt ein paar Lage lang gesehen? Güter
und immer nur Güter, und aus allen diesen Gütern wie hier: Polen
und immer nur Polen. In diesen Iahrzehnten werden vom Osten her
ganze Landstriche unsres Vaterlandes friedlich erobert, ebenso gründlich
wie weiland von unsern angelsächsischen Vettern Britannien, als sie
von den alten Briten zur Hilfe gerufen wurden. Ia, auch wir rufen
uns Fremde als Hilfe in Berufen, die unsre Landsleute verschmähen,
wie einst die Römer sich die Germanen fürs Wafsenhandwerk riefen — bis
unsre germanischen Vorfahren später ungernfen kamen."

Wir waren sehr still, als wir heut schlafen gingen. — —

Lin andermal in Böhmen. In den Dorfgasthäusern stehen Spar-
kassen auf dem Tisch, darauf steht: „Für den deutschen Turnverein."
Diesen Turnverein sollten wir noch kennen lernen. In einem kleinen
Städtchen waren wir angeredet worden: „Kommen Sie heut abend in
den Schwarzen Bären." — Niedrige Stnben, lange Tische, wackere Bürger,
die über dies und das reden. — Lin würdiger Handwerksmeister begrüßt
uns mit freundlichen Worten nnd sagt, sie wollten uns erzählen und
zeigen, was unsre deutschen Brüder hier zu kämpfen und zu dulden hätten.

Es war feierlich unter all den Leuten. Wir hörten von dem stillen
und heißen Ringen ums deutsche Volkstum. Nnd wir, die wir frei
und sorglos in den Turnstunden Vaterlandslieder gesungen hatten, weil
sie so frisch klangen und einen so schneidigen Marschtakt hielten, wir
sangen heut wieder: „Deutschland, Deutschland über alles."

Aber es war heute ein ganz neues Lied. Ein Lrlebnis, das uns
ganz durchschüttelte. Ein Bekenntnis, ein Gelübde. — —

Auf freier, fröhlicher Fahrt im Hessenlande. In einem Linzelgehöft
wohnt der Bauer, der uns aufgenommen hatte. An den Wänden der
Wohnstube Soldatenbilder. Vom Reden über die Ernte kamen wir
zum Weltlauf im allgemeinen und im besonderen. Rnd wie der Alte
erzählte und urteilte, so schlicht und doch so stark, so praktisch wägend
und doch aus reinem Christentum, aus warmer Vaterlandsliebe und
aus einem reichen Herzen, da wußte ich, wer die Schlachten von s870
gewonnen hat.

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