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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Wieder daheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0514

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1 Iahrg.26 Zweites Septemberheft i 913 Heft24

Wieder daheim

Hauptarbeitzeit ist der Winter — diese Tatsache, die uns fast
>-H^für alle Berufe der „besser" Gestellten so gut wie selbstverständ-
lich scheint, sie alleiu deutet auf eine Verschiedenheit zwischen
Einst und Ietzt, die bis zum Grunde geht. Wir sind aus der Sominer--
frische heimgekehrt, das „Ausspannen" liegt hinter uns, nun umgibt
uns wieder diese Sammlung von Arbeitstätten und Arbeitgelegen-
heiten: „die Stadt", die von allen Seiten mit Menschen- und Ma-
schinenstimmen aus uns einsurrt. Für den Soldaten und den Bau-
gewerkler und sür ein paar minder menschenreiche Stände ist zwar der
Sommer noch heute „Hauptzeit^, aber nur der Landmann lebt in der
Einteilung der Arbeit noch ähnlich, wie früher fast alle lebten, lebt
wirklich noch in Wechselwirkung mit dem Kreislauf des Iahrs. Wir
andern sind in hohem Maße von dessen Bewegungen „emanzipiert",
wir arbeiten nicht mehr doppelt soviel im Sommer als im Winter.
And immer noch mehr wird die Loslösung geschehen, wie der Welt-
verkehr mit seinem Austausch zwischen den Erdteilen die Iahreszeiten
zu örtlichen Erscheinungen ohne zwingende Bedeutung für die Er-
nährung der Völker, und wie neue technische Lrfindungen auch Arbei-
ten, wie das Bauen, vom Einfluß der Witterung freimachen. Unsre
Wohnungen sind ja auch unvergleichlich „winterfester" geworden; bei
Wasserleitung, Zentralheizung und elektrischem Licht lächeln wir des
heißen Sehnens nach Frühling, das uns aus alten Weisen schier herz-
erbarmend tönt — man muß schon unter arme Stämme in ferne rauhe
Länder gehn, um sich noch recht drein versetzen zu können.'

Unter ganz andern Bedingungen als denen des Heute hat sich das
deutsche Verhältnis zur Natur gebildet, wie es aus unsern alten Mären
und Sagen, wie es aus unsrer alten Kunst, das Wort Kunst im weite-
sten Begriff genommen, wie es noch aus der Literatur der Klassiker
und des silbernen Zeitalters zu uns reden mag. Amser Verhältnis zur
Natur formte sich im Veieinander des Ackerbauers, des tzirten, des
ILgers und des Kriegers mit Wald, Feld, Heide, Berg, im Mitsammen
mit allen Geschöpfen darauf, mit der Sonne, die sich schenkt und ver-
sagt, mit den Morgen, den mehrenden, und den Abenden, den ab-
nehmenden, mit Regen und Wind, mit Schnee und Sturm, mit
Nebeln und NLchten, die mit den gnädigen oder bösen Launen ihrer
Geister vorüberschwebten, hereinwirkten, vorüberlebten. Alles, was
sich bewegt, ist dem Armenschen belebt; wenn heut der Poet in allen
Dingeu Seele sieht, so ist es nur der Anthropomorphismus des
Ahnen, der zu und aus ihm spricht. Anausrottbar ist er; gerade,
wenn wir unser Fühlen verfeinern, so tun wir oft weiter nichts, als
daß wir uns und andern vernehmlich machen, was in den dunkeln
Schichten unsres Ichs seit uralten Zeiten her immer noch im Traume
spricht. Selbst das Streben des neuen Künstlers nach Stilgefühl —,
was ist es sonst, als das Pflegen jenes uralten Vermenschlichens, das
eine Seele gleich unserer in die Erscheinungen legt, damit wir uns

2. Septernberheft W3 HA
 
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