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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 22 (2. Augustheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0371

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Vom tzeute fürs Morgen

Langeweile

in großer Widersinn: in unserm
kurzen Leben Langeweile! Wo
es doch eine Fülle zu tun gibt, wo
zu beiden Seiten unsres Lebens-
weges der größte Reichtum an Bil-
dern und Wissen ausblüht, wo sich
Schaffens- und Gennßmöglichkeiten
in Fülle finden! Langeweile heute,
wo die knappe Spanne unsres
Erdendaseins gar nicht mehr aus-
reicht, auch nur einen kleinen Teil
dessen mitzuleben und mitzudenken,
was vorhanden ist! Nein, so ist die
Langeweile, an der viele so häufig
und jeder wohl gelegentlich leidet,
nicht zu begreifen. Ihre Ursache
liegt in der Beschränkung des Men-
schen, in seiner Amfähigkeit, den vor-
handenen Reichtum des Geschehens
sich anzueignen. Das ist auch nicht
immer die Schuld dessen, der sich
langweilt. Die Beschränkung seines
Könnens kann unverschuldet sein:
beispielsweise seine geistigen (oder
körperlichen) Fähigkeiten reichen
nicht aus, an Musik oder Luftschiff-
fahrt oder an irgend etwas sonst
teilzunehmen, das doch gerade jetzt
betrieben wird, oder seine Mittel
reichen nicht hin, um es mitzu-
machen, und zum untätigen Zu-
gucken verdammt zu sein, ist nicht
immer kurzweilig. Ia, gerade diese
Langeweile ist's, die uns am mei-
sten drückt: wir haben einen Be-
ruf, der uns nicht gefällt und doch
unsere Tage voll einnimmt; wir
haben eine Arbeit, die uns zuwider
ist, aber unbedingt gemacht werden
muß; wir sind in Gesellschaft, und
deshalb gezwungen, von den Bau-
plänen des Hausherrn zu hören
und sogar über Dinge selbst zu
reden, die uns nicht interessieren.
Kurzum: wir dürfen nicht wie wir

wollen, darum langweilen wir uns.
Eine Tyrannei ist's der wirtschaft-
lichen oder gesellschaftlichen Ver-
hältnisse, eine auferlegte Sklaverei,
ein Gefängnis, in das uns das Le-
ben gesteckt hat. Wären wir frei,
zu tun nnd zu lassen, was wir woll-
ten, so könnten wir also Lange-
weile auss alte Eisen der Men-
schenkultur werfen!

So scheint es — ist es wirklich
so? Ohne äußeren Zwang kann es
Langeweile nicht geben?

Wir sahen schon: Es kommt alles
darauf an, ob uns das, was wir
machen, interessiert. Interessiert uns
nichts, nun, so mnß uns alles lang-
weilig sein. Ie beschränkter ich bin,
um so langweiliger ist mir das Le-
ben. Liebe ich Musik nicht, so lang-
weile ich mich selbst im Tristan;
liebe ich die Natur nicht, so lang-
weile ich mich an der Cote d'or
oder am Eap d'Antibes. Die Lange-
weile bekämpfen heißt lieben,
alles lieben, mehr lieben als der
Mensch verbrauchen kann. Immer
temperamentvoll und immer bereit
zur Leilnahme sein!

Wie aber, wenn etwas unsere
Leilnahme stark erweckt, aber im
Stich läßt? Dann langweilt man
sich eben — und vielleicht um so
gründlicher. Das Lustspiel oder das
Buch da hat eine an sich inter-
essante Frage über Gebühr aus-
gedehnt; dem Dramatiker da hat
etwas sehr Schönes vorgeschwebt,
nur hat er leider die Fäden zu ihm
hinüber nicht finden können. Wo
ist der Punkt, da das Buch sein
Interesse einbüßt? Wo der Augen-
blick, da man anfängt, uns zu lang»
weilen? Da, wo wir inne werden,
daß der Geber zu viel versprach.
Der Redner, von dessen Vortrag

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