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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 20 (2. Juliheft 1913)
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Wölfflin, Heinrich: Über den Begriff des Malerischen
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Kloeppel, Friedrich: Zur Justizreform
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0151

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einer das Ganze überschauernden Bewegung sich zusammenfinden.
Es kann die mächtig rauschende Bewegung römischer Barockfassaden
sein oder ein ganz sanftes Rieseln, immer hängt der malerische Ein-
druck davon ab, wie weit die Teile über ihren architektonischen Sinn
hinaus zu einer — rein optischen — Illusion sich hergeben. Die
strenge Renaissancefassade in der Art der Eancelleria oder der Villa
Farnesina in Rom tut das unter keinen Umständen: man sieht immer
nur die einzelnen Pilaster und die von ihnen eingerahmten Wand-
felder. Ie mehr aber der Reichtunr sich steigert (Vervielfachung der
Linienl), um so schwerer wird es den Formen ihre Wirkung als
(Linzelglieder zu behaupten, und es kommt der Moment, wo das Auge
kapituliert und nur noch den Gesamtschwall sieht. Das ist dann der
entschiedene Sieg des Malerischen. Eine Rokokodekoration, wie die
des Residenztheaters in München, ist grundsätzlich nicht mehr darauf
berechnet, im einzelnen gesehen zu werden. Die künstlerische Absicht
geht in erster Linie auf den faszinierenden Rhythmus einer flimmern-
den Gesamtbewegung.

Die Geschichte des malerischen Stils läßt sich nicht als eine bloße
Angelegenheit des imitativen Verhaltens zur Natur behandeln. Iede
Anschauungsform, die lineare und die malerische, hat eine erkenntnis-
mäßige und eine „dekorative" Seite: mit jeder neuen Optik ist auch
ein neues Schönheitsideal verbunden.

Die Kunst der vollkommenen Proportionen, wie sie die italienische
Renaissance zu verwirklichen suchte, war auf einen Stil der Linie
angewiesen. Wo man mißt, da müssen klare Formgrenzen vorhanden
sein, gleichgültig, ob der menschliche Körper in Frage steht oder ein
Gebilde der Architektur. Für den Geschmack einer malerisch gestimm-
ten Zeit tritt das Interesse für den Bau der Gestalt zurück hinter dem
Interesse für ihre Erscheinung. Es handelt sich jetzt nicht mehr um
klare Linien und Flächen, um plastische Einzelwerte, in denen die
Schönheit sich verkörpert, sondern um ein Bewegtes, Werdendes, Sich-
wandelndes. Es gibt jetzt auch eine Schönheit des Ankörperlichen.

Wir stoßen hier auf die Zusammenhänge zwischen Schönheit und
Weltanschauung, und für die Geschichtsphilosophie tut sich die Frage
auf, Wie weit das bestimmte dekorative Gefühl einer Zeit die Er-
kenntnis bedingt und wie weit es von dem Inhalt der Erkenntnis
bedingt wird. Nicht alles ist zu allen Zeiten möglich in den Künsten
der Anschauung. Nicht alle Gedanken können zu allen Zeiten ge-
dacht werden. Heinrich Wölfflin

Zur Zustizreform

^^^ie wachsende Teilnahme der Allgemeinheit an der bevorstehen-
/den Nmgestaltung unsres Iustizwesens äußert sich darin, daß
letzt auch Zeitschriften wie der Kunstwart diesem Probleme ihre
Spalten öffnen. Das ist an sich erfreulich und wohlbegründet und
muß auf die Dauer dahin führen, daß das vielbeklagte mangelhafte
Verständnis unsrer Rechtseinrichtungen behoben wird, mag es sich
schon im Anfange besonders unangenehm fühlbar machen.

2. Iuliheft

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