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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1913)
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Böhlau, Helene: Goethezeit: Wilhelm Bodes "Charlotte von Stein"
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Schliepmann, Hans: Der Runks: ein kurzes Erlebnis mit längeren Folgerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0232

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es mit wenigen, wohlerwogenen und tief empfundenen Worten, den Leser
in das Reich seines Schauens unmerklich fast nnd doch zwingend, hinzu--
lenken. Ich nenne hier nur das Schlußwort des Werkes, das den
Literaturhistoriker Wilhelm Bode, in seiner Art zu schauen und zu
lenken auf den Rang eines Dichters stellt. „And von nun an ging ein
Schatten, den man Lharlotte von Stein nannte, den Leidensweg der
Berühmtheit." Solcher Worte und Anschauungen aber sind viele in
diesem Buche. Helene Böhlau (al Raschid Bei)

Der Nunks*

Ein kurzes Erlebnis mit längeren Folgerungen

as Abteil dritter Klasse, in dem ich, weniger standes- als beutel-
v-H Igemäß, kürzlich vom Arlaub zurückfuhr, war schon ziemlich gefüllt,

als in Halle noch zwei Reisende unsere Plätze auf das königlich-
preußische Normalmaß zusammendrängten. Ich saß am inneren Lnde
der Bank, die dort gegen den Durchgang des D-zugwagens nur durch
eine Armlehne abgeschlossen war; mir gegenüber dämmerte schon seit
Hof ein junger Mann von dürftigem Aussehen vor sich hin, ein Monteur
oder Lechniker vielleicht. Neben ihn ließ sich nun ein gesättigter Kultur-
mensch in hellgrauem, eleganten Sommeranzug und dickem Goldbeschlag
an Weste und Fingern nieder, groß, blond, feist, satt und müde; auf
dem Antlitz stand's wie ein Reklameplakat: „Hier, ich bin's; einer, der was
macht in der Welt, nämlich Bombengeschäfte! Bitte mir aber auch Lllen-
bogenfreiheit aus." Demgemäß schrumpfte denn auch der kleine Monteur
schon um zehn Zentimeter unter Normalplatzbreite in die Ecke. Der
Abermensch streckte die Beine breit von sich, gähnte ausgiebig und ließ
sein Haupt schläfrig vornübersinken. Aber selbst der Schlaf dieses Ge-
waltigen gebar noch sinnreiche Gedanken zur Erhöhung der eigenen
Daseinslust: Er sprang plötzlich auf, holte einen weichen Reisesack von
Handkoffergröße aus dem Gepäcknetz, pflanzte ihn hochkantig zwischen
sich und dem kleinen Monteur auf und gewann dadurch das Postament,
ohne welches ja bekanntlich auch Bildhauer sich keinen großen Mann
für ein Denkmal vorstellen können. Auf ihm breitete er nun liebevoll
den rechten Arm aus, um auf diesem wieder das Stierhaupt zu betten.

Erstaunt, verängstigt blickte der kleine Monteur auf diese Zurichtungen,
die seinen Platz um weitere fünfzehn Zentimeter einschränkten. Aber
tapfer zwängte er sich die Armlehne unter die falschen Rippen und
drängte Beinchen an Bein: es ging! Herabfallen konnte er ja nun wenig-
stens nicht! — Mit einer gewissen Theaterspannung wartete ich, wie
lange die drei Normalmenschen sich wohl die beengende Erfindung des
Abermenschen gefallen lassen würden. Nichts erfolgte. Allmählich aber
sank der schlummernde Fleischberg gegen den Monteur hin; im Schlaf
noch fand er aus, daß ja ein Mensch das einzig weiche und warme
Polster in einem Wagen dritter Klasse sei. Bis hinter Wittenberg saß

* Ich weiß: „Runks" ist nicht schriftdeutsch, sondern nur neuberlinisch.
Aber weder „Flegel" noch „Rüpel" noch „Lümmel" erschöpfen den neuen
Typ, der mit Genuß und Selbstbewußtsein brutal ist. Und da das Wort
geradezu onomatopoetisch ist, so möchte ich dem neuen Begriff das
ebenso häßliche Wort gern hiermit anschmieden.

(. AugusthefL (9(5

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