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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 23 (1. Septemberheft 1923)
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Avenarius, Ferdinand: Worauf warten die Fürsten?
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Walzel, Otto: Ricarda Huchs "Großer Krieg"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0412

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nichts. Besser noch zeugt die immer wiederkehrende Verwertung
von vereinzelten Tatsachen davon, wie der Ansnützung der Post-
portofreiheit durch einen Fürsten zu großen geschäftlichen Versendun--
gen, weil er auf der Bahn die Frachten hätte bezahlen müssen. So-
lange tatsächliche Anlässe bleiben, die solche Agitationen ermöglichen,
solange arbeiten die betreffenden hohen Herren am Antergraben des
monarchischen (Lmpfindens erfolgreicher mit, als die tüchtigsten sozial--
demokratischen Agitatoren. Aber tausend Handlungen gleich der er-
wähnten würden bei solchem Unterwühlen doch nur Spatenstiche neben
Bohrmaschinen sein, falls sich jetzt die dentschen Fürsten „sparsam"
zeigten. Wer sollte an ihren nationalen Lrnst noch glauben, wenn
der Kaiser, die Reichsregierung und die Vertreter aller bürgerlichen
Parteien mit feierlichsten Worten an die Opferpflicht mahnten, die
Fürsten aber wie Drückeberger erschienen? Iede Herabminderung
der Selbstbesteuerung unter das den andern Meistbemittelten auf-
erlegte Verhältnis würde die Meinung ausreichend begründen: ihr,
die ihr an Opfermut voranleuchten solltet, ihr Höchstgestellten, ihr
Bevorrechteten, ihr tut selber nicht einmal das, was ihr von uns
mit Pathos gefordert habt. Während ihr mehr tun solltet!

Ob man's bedauern mag oder nicht: die Lösung der staatsrecht-
lichen Frage ist vertagt. Aber die ethische Frage schwelt, und aus
dem Schwelen droht ein Brand. Warum erklären unsre Fürsten
nicht endlich öffentlich und bindend: „gleichviel, ob wir Vorrechte aus
alter Zeit her haben: nicht die oder jene staatsrechtliche Auslegung
ist für uns entscheidend, sondern die sittliche Forderung —
selbstverständlich also zahlen wir zu mindestens gleichen Sätzen wie jeder
andere mit« ? Warum immer noch nicht? Das fragen zu müssen, fängt
an, peinlich zu werden. Es steht aber mehr auf dem Spiel, als eine
Peinlichkeit. A

W

Niearda Huchs „Großer Krieg"

er von den Bildern des Dreißigjährigen Kriegs kommt, die aus
nächster Nähe und aus unmittelbarem Miterleben Grimmels-
hausen und Moscherosch entworfen haben, sieht mit Befremden
heute zwei dichtende Frauen am Werk, diese Welt unbegrenzter Ver-
rohung und jn ihr eine Menschheit, die des Menschlichen sich ganz
entwöhnt zu haben scheint, zum Gegenstand künstlerischer Formung zu
erheben. Beide verzichten auf die Vorteile, die eine Darstellung aus
der Vogelschau bietet, aber auch auf eine vornehme Stilisierung, die
von vornherein nur die große Gebärde des einzelnen sieht und das
entsetzliche Gebaren der Menge Ln einen schwach oder gar nicht be-
leuchteten Hintergrund zurückschiebt. Schiller wahrte in geschichtlicher
Erzählung und in dramatischer Gestaltung die verklärende Entfernung.
Auch „Wallensteins Lager", wohl das Gegenständlichste, was Schiller
in seiner Reife gedichtet hat, verhält sich zu Grimmelshausens und
Moscheroschs Zeitbildern wie Murillo zu Ian Steen. Konrad Ferdinand
Meyer, dem das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation dauernd
Stoff zu dichterischer Erfindung lieh, führte noch im „Iürg Ienatsch"
den Zeichenstift in so großen und schlichten Zügen, daß vor solcher

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Kunstwart XXVI, 23
 
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