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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 22 (2. Augustheft 1913)
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Jaskowski, Friedrich: Der Mensch und der Alkohol
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Poeck, Wilhelm: Nachgrothische Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0322

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zösrsche Kunstgelehrte hat fein beobachtet, der den Alkohol die Literatur
des Volkes nennt. Trinkt doch ungegorenen Fruchtsaft, der ist ja
gesünder und schrneckt besser! Er schmeckt besser? Das läßt sich leicht
predigen, aber das soll ja erst erreicht werden: wie bringe ich den
einfachen Mann dahin, daß Wasser nnd Fruchtsaft ihm besser
schmecken als Bier und Wein, daß ihm Zitronenwasser zu Literatnr
wird? Die edle uneigennützige nnd anfopfernde Arbeit der Nnchtern--
heitsbewegung hoch in Ehren: ihr Hauptverdienst hat sie dnrch ihr
bloßes Dasein, indem sie den Finger auf saule Stellen legt. Aber:
vor allem wirksam, wahrhaft heilsam wird das positive Schaffen
sein, das uns durch Wissenschaft, freie Religion und tief erlebte und
begnadete Knnst zu ganzen Menschen erzieht, das den idealistischen
Keim, das selbständige Denken, die Freude und die Achtung vor
unsrer Arbeit und aller Arbeit in uns ernährt, vor allem in der
Schule, auf Grund einer die wirkliche Menschennatur kennenden Er--
ziehungskunst. In dieser Art regt sich ja schon viel Lrfreuliches in
unsern deutschen Landen. Die Bewegung gegen den Alkohol, die
als ein Iohannes schon für manches Gute den Weg bereitet hat,
kann hier, sich immer mehr vertiefend, mitarbeiten. Denn
anch ihre Aufgabe meint letzten Endes nur: bilde dich und den Men-
schen, daß er aus Trieb und Einsicht von selbst allen „Alkohol^,
auch im übertragenen Sinne, also nicht bloß den Suff, sondern alles
unechte Mittel innen und außen immer mehr weg läßt!

Friedrich Iaskowski

Nachgrothische Lyrik

^^m November vor sechzig Iahren erschien der „Äuickborn". Man
^hätte glauben sollen, daß dieser aus dem niederdeutschen Volksleben
^Igehobene dichterische Schatz, der das Beste, man kann sagen: die
Seele aller niederdeutschen Stämme in dem weiten Grenzrahmen von
der Flensburger Föhrde bis zum Harz und vom Niederrhein und Ost-
friesland bis zu den ostpreußischen Hasfs spiegelte, mit einem Schlage
die neuniederdeutsche Lyrik zum Leben erwecken würde. Aber das ver-
mochte Groth so wenig wie Reuter die niederdeutsche Epik schafsen
konnte. Woran lag das? Wohl kaum an einem Mangel der Talente.
Wenn zum Veispiel annähernd gleichzeitig im Schoße eines Volkes von
70 000 Köpfen, wie der Isländer, im Laufe noch nicht eines halben
Iahrhunderts eine reichhaltige und wertvolle poetische Literatur entstehen
konnte, weshalb nicht auch unter den zehn Millionen Niederdeutscher,
die sprachlich, in gewissem Sinne sogar politisch, zu ihren hochdeutschen
Stammesgenossen eine ähnliche gegensätzliche Stellung einnahmen, wie
die antochthonen Isländer gegen die nach Kultur, Sprache und Stam-
mesart grundverschiedenen Dänen? Mehrere Ursachen verhinderten es.
Linmal war es die heute nicht mehr geteilte, aber unter anderen auch von
Reuter ausgesprochene pessimistische Ansicht, daß die Lage des Platt-
deutschen gezählt seien. Diese und ähnliche von Wienbarg und Hebbel
herüberklingenden und noch von dem Verfasser des Marschenbuches, Her-
mann Allmers, wiederholten polemlsch verschärften Arteile machten die
eingebornen Talente kopfscheu. So wandten sie sich der hochdeutschen

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Kunstwart XXVI, 22
 
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